Michael: Würdest du
zwischen Horror und Grusel unterscheiden?
Thomas: Ich glaube
dass das mehr eine linguistische als eine inhaltliche Frage ist.
Orakel: *Schreit
seinen iPod an und beißt in die Tischplatte*
Okay, zugegeben: So
ganz drastisch wahr meine Reaktion auf den Dorp-Cast
144 nicht. Aber wie sich einige Leute denken können ist gerade
das Thema Horror etwas, in das ich in gewisser Weise über die
letzten Jahre investiert geworden bin. (Soweit, dass ich während des
Philosophiestudiums in einem Seminar durch ein paar steile Thesen zum
Film „Funny Games“ dadurch aufgefallen bin, dass ich gesagt habe,
dass der Film vermutlich am ehesten über die Tradition des
Slasher-Films funktioniert und deswegen auch die beiden
Identifikationsfiguren für den Zuschauer ganz klar die Beiden Täter
Paul & Peter seien.) Der Punkt bei der ganzen Sache ist: So sehr
ich die Ansichten der beiden Dorpcast-Stimmen Michael und Thomas auch
in der Regel schätze: Hier haben sie mal einfach in Klo gegriffen.
(Im darauffolgenden Dorp-Cast
haben sie auch schon gesagt, dass ich eine von zwei Personen wahr,
die nicht all zu begeistert von der Folge waren.) Und auch wenn ich
bereits versucht hatte grob zum Umreißen, das die gefühlt sehr
oberflächliche Herangehensweise an das Thema das Hauptproblem der
Ganzen Sache wahr, sehr ich doch, dass hier mal wieder Klärungsbedarf
herrscht, wenn wir über die finsteren Seiten des Rollenspiels
sprechen.
Wie sich einige
Leute erinnern, hatte ich vor ein paar Jahren schon mal im Rahmen des
Vlogtaculums
ein paar Sätze zum Thema Horror verloren. Damals wie Heute
lautet meine Empfehlung zum einarbeiten in dieses Thema „The
Philosophy of Horror“ von Noel Carrol, einfach weil hier einige
sehr gute Gedankengänge drin verwoben worden sind, die sich zwar mit
den Problemen des Horror-Films beschäftigen, welche aber im Kern
immer auch die Probleme des Horrors im Rollenspiel irgendwie sind.
Von daher werde ich jetzt nach und nach in diesem Artikel einfach mal
meinen Gedanken hinterherjagen, die mir prinzipiell gerade kommen und
versuchen etwas Struktur in dieses Missverständnis zu bringen.
Das
„Unterhaltungsmodell Angst“
Das große Problem im Zusammenhang mit dem Thema Horror ist, dass es
im Grunde erstmal ein widersprüchliches Konzept ist. Wann immer wir
nämlich von Horror im Zusammenhang mit Filmen oder auch
Rollenspielen reden, meinen wir eine Unterhaltungsform. Zeitgleich
gibt es aber auch ungangssprachliche Redewendungen, wie „er hat im
Krieg Horror erlebt“ oder aber auch umgangssprachliche
Übersteigerungen wie den „totalen Horror“. Das zumindest die
Schrecken des Krieges und die lauthals kreischenden Teenager, die von
Jason Voorhees davonlaufen etwas miteinander zu tun haben scheint auf
den ersten Blick etwas Wiedersprüchliches zu sein, handelt es sich
bei dem einen doch um tatsächliche Ereignisse und bei dem anderen
„nur“ um einen schlecht gemachten Slasher-Film aus den 80ern, der
nur so vor Klischees trieft.
Und um das zu verstehen muss man vermutlich erst einmal etwas tiefer
in die Evolutionsgeschichte des Menschen hereinblicken: Wenn ich der
Wikipedia glauben schenke, sind die ältesten dem modernen Homo
Sapiens zugeordneten Knochenfunde etwa 315.000 Jahre alt. Das heißt
wir haben etwas über dreihunderttausend Jahre gebraucht um uns auf
diesem Planeten auszubreiten, sämtliche potentiellen Gefahren zu
beseitigen (und aktuell arbeiten wir ja halbwegs erfolgreich daran
uns dieser Lebensgrundlage auch wieder selbst zu berauben.) Der Punkt
bei diesem Modell des „schöner Scheiterns“ ist aber folgendes:
Im Kern waren wir als Spezies seid damals keinem all zu großem
biologischen Druck unterworfen, der eine wie auch immer geartete
Weiterentwicklung im evolutionärem Sinne notwendig gemacht hätte.
(Und auch die ganzen Atom-Bomben, die im letzten Jahrhundert gezündet
worden sind haben noch keine allzu erfolgreichen Mutationen
herbeigeführt.)
Das heißt aber auch, dass bestimmte Faktoren, die ein überleben des
Individuums früher leichter begünstigt hatten heute immer noch Teil
unserer Erbsubstanz sind. Und eines dieser losen Enden der
Vergangenheit ist das Gefühl der Angst. Angst aktiviert
Fluchtverhalten, gemahnt uns zu Vorsicht und kann somit schon mal
über das Überleben entscheiden, wenn man ein komisches Geräusch
hört, das sich anschließend als hungriger Säbelzahntiger erweisen
mag. Der ängstliche gibt seine Gene an die nächste Generation
weiter, während der Neugierige, der dass Geräusch interessant fand,
einfach nur die nächste Mahlzeit für den Säbelzahntiger geworden
ist.
Heute, dreihunderttausend Jahre später, haben wir sämtliche
potentiellen Gefahren, die uns Angst machen können ausgelöscht.
(Zumindest soweit es den hungrigen Säbelzahntiger betrifft.) Der
Punkt ist aber: Bloß weil der Grund, Angst zu haben, in der
modernen, zivilisierten Welt als solcher nicht mehr Existiert, bleibt
der Instinkt als verkümmerter Nerf, der gelegentlich Impulse
aussendet trotzdem erhalten. Und hier kommt dann das kulturelle
Technik des Geschichtenerzählens ins Spiel.
Womit auch der Punkt mit der „Immersion“ im Grunde genommen zum
tragen kommt. Ich beziehe jetzt das Modell der Gespenstergeschichte
einfach mal als Beispiel hier ein. Im Grunde assoziieren wir mit
bestimmten symbolen Angst heutzutage. Das liegt daran, dass man
vermutlich irgendwann festgestellt hat, dass rund um bestimmte
Ereignisse an unserem Körper Reaktionen auftreten, die eigentlich
aus der Palette an Emotionen stammen, die die Angstreaktion mit
hervorruft. Wenn wir jetzt das Spukschloß als Motiv einmal
aufgreifen: Heutzutage weiß man, dass die meisten
Geistererscheinungen sich vermutlich auf schlecht isolierte Räume
zurückführen lassen, so das an bestimmten Stellen Kälte auftrat,
die einem die Haare im Nacken zu Berge stehen ließ. (Was dann auch
der Grund ist, warum der Topos des Spukhauses so weit verbreitet
ist.) Eine Geschichte aus dem Bereich von Grusel und Horror erzeugt
also nicht per se Angst. Sie ist erst einmal nur eine Geschichte über
die Angst.
Warum
Gruselgeschichten am Lagerfeuer trotzdem funktionieren
Warum funktionieren aber Gruselgeschichten? Die Antwort an sich ist
vermutlich ziemlich banal: Ich würde sie unter dem Stichpunkt
„Herdenverhalten“ zusammenfassen. Wir kennen heutzutage einen
Haufen beunruhigender Faktoren, die mit Angst einher gehen.
(An)spannung und Stress, um nur zwei zu nennen, die zwangsweise mit
unseren Fluchtimpulsen einhergehen.
Insofern ist das, was ein ästhetisches Empfinden aufgreift, welches
mit der Angst der Beunruhigung spielt sehr stark auf dem
atmosphärischen Moment bezogen. Das kann mit Licht zu tun haben.
Allerdings auch mit der Qualität von Umgebungsgeräuschen. Oh und
natürlich dem Erzähler selbst: Indem man begleitende
Ersatzhandlungen nutzt, die man tatsächlich reproduzieren kann, ohne
das eine tatsächliche Gefahr als solche Besteht, kommt es wirklich
dazu, dass einem die Nackenhaare zu Berge stehen. Und auf diese Weise
empfinden wir so etwas wie „Immersion“. Das heißt, wir gruseln
uns nicht, weil eine Figur in einer Geschichte sich gruselt. Die
Gesamtsituation ist ein Platzhalter, der unsere eigene Vorstellung
aktiviert und uns somit in die Situation bringt, dass wir das Gefühl
haben, in der Nähe von Bedrohung zu sein. Das ist in gewisser Weise
die Projektion, das etwas unheimliches Geschehen könnte, was aus
unserer eigenen Vorstellung dann uns Beunruhigt. Im Kern stellt also
die Geschichte eine Einladung zu einem „so tun als ob“ dar. Und
dieses so tun als ob ist letzten Endes im ästhetischen Empfinden
das, was wir als Grusel begreifen. Und darauf baut auch das
Rollenspiel an sich auf.
Der Übergang zum
Horror. Oder: Warum funktioniert Todes-Angst am Spieltisch nicht?
Und genau hier beginnt das Problem mit dem Begriff des „Horrors“.
Denn während Angst uns in die Flucht treibt, ergibt sich daraus
etwas, dass im Kern einen Keim Hoffnung enthält: Nämlich
Sicherheit. Horror hingegen ist von der emotionalen Ebene her etwas
deutlich drastischeres.
Das Problem bei der Sache ist, dass wir in einem ganz bestimmten
Moment von Horror sprechen. Angst bietet eigentlich einen
Ausweichreflex: Die Flucht in die Sicherheit.
Horror beginnt aber dann, wenn die Angst unausweichlich der einzige
Bezugspunkt unseres kompletten Seins wird. Das kann man an sich
schwierig Nachvollziehen, außer man betrachtet sich eventuell ein
Bild, dass aus der Kriegsberichtserstattung stammt. Ich muss dabei
hinzufügen: Ich habe Leute über das Bild reden gehört, nicht aber
die Fotografie an sich gesehen. Angeblich gibt es ein Bild von einem
Mann, der einen Stuhl über seinem Kopf trägt, und sich scheinbar
davon irgendwelchen Schutz verspricht. Ähnliche Bilder gibt es auf
die eine oder andere Weise immer wieder in unterschiedlichen
künstlerischen Werken. Der verständliche Aspekt bei diesem „mit
der Angst auf ängstem Raum konfrontiert zu sein“, bzw. der
Reaktion darauf wird wohl dann klar, wenn man sich das entsprechende
Konzept hinter den Geschichten von H.P. Lovecraft ansieht: In diesen
Geschichten wird die Sicherheit der eigenen kleinen Welt des
menschlichen Verstandes so weit wiedersprochen, dass die geistige
Gesundheit zubricht.
Und das ist eigentlich auch ganz allgemein die Folge des Moments des
Horrors: Dadurch das der entsprechenden Augenblick einem jegliche
Sicherheit, auf die man sich überhaupt in irgendeiner Weise
verlassen konnte, entreißt, zerbricht dabei der menschliche Geist
und die Angst wird der einzige Bezugspunkt unseres kompletten Seins.
Und genau damit beginnt das Problem des „Horrors am Spieltisch“:
Keiner will so etwas in irgendeiner Weise verspüren. Daher ist auch
im Grunde das ästhetische Verlangen des empfundenen Horros an sich
nicht vorhanden. (Und es entspricht auch nicht dem, was uns
eigentlich berührt, wenn wir uns mit dem Themenfeld des Horrors auf
die eine oder andere Weise unterhalten.)
Aber: Die Vorstellung der Handlung einer Person, die ein solches
Erlebnis hat, hat trotzdem ihren eigenen, ästhetischen Reiz.
Aber: Das birgt jeweils auch immer seine eigenen Probleme mit sich:
Im Film versucht man diese Momente durch die Verwendung des „Jump
Scares“ aufzuzeigen, damit Symbolisch erklärt wird, warum die
entsprechende Figur am Ende zerstört ist. Fürs Rollenspiel hingegen
wird das immer eine sehr komplizierte Gradwanderung sein, in der es
um eine Einladung eines „so tun als ob“ geht. Im Kern fokussiert
man sich dabei dann sehr oft auf Symbole, im Sinne eines „das macht
dir doch Angst!einself“. Trotz alledem gibt es durch die Geschichte
immer wieder auch andere Versuche, die auf der einen oder anderen
mechanischen Ebene Orientierungshilfen bieten: Die vermutlich
zugänglichste Variante ist die Leiste für geistige Gesundheit von
chaosiums „Call of Cthulhu“, die in teilweise weiterentwickelten
Versionen immer wieder in verschiedenen, konventionellen
Regelsystemen auftaucht. Dieses System des geistigen Verfalls mag
einigen etwas Plump erscheinen. Allerdings bot es in seinem Ansatz
immer eine sehr genaue Orientierung des Moments, an dem sich die
Bespielte Figur nicht mehr in ihrer eigenen Sicherheitszone fühlte.
Es gibt zwar auch entsprechende Experimente, die sich auf eine Art
der Immersion berufen (das bekannteste in dem Bereich dürfte immer
noch der Jenga-Turm-Mechanismus
von Dread sein) aber wie ich schon an anderer Stelle gemeint
hatte: Die Immersion hier ist nicht Horror, sondern das Gefühl von
Begleitfaktoren, die mit Horror verpartnert sind, jedoch für sich
allein gestellt ebenfalls funktionieren.
Diesen Fokus des geistigen Verfalls, des Verlustes jeglicher
Sicherheit, bis nur noch die Angst an sich das absolute Element ist,
dass die eigene Persönlichkeit ausmacht, ist jedenfalls der Fokus,
der am Ende Horror ausmacht.
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