Montag, 1. September 2014

Kübelweise Eiswasser

Ich denke mal, dass die letzte Woche einigen Leuten eine kalte Dusche beschert hat. Ja: Ich schreibe von der IceBucket-Challenge. Dieses Phänomen geht ja im Moment Viral über die Känäle der sozialen Netzwerke wie weiß was. (Zugegeben: An mir scheint der Kübel vorrübergegangen zu sein, aber Familienintern hat sich jemand der Geschichte stellen müssen.)
Grundsätzlich noch einmal die entsprechende Zusammenfassung: Die ganze Geschichte macht auf das bislang tötlich verlaufende Nerfenleiden Amyotrophe Lateralsklerose aufmerksam. Dabei verläuft das ganze unter folgenden Spielregeln: Entweder man spendet an die ALS Association einen Beitrag von 10 Dollar (in unserem Sprachraum dann natürlich 10 Euro... wir Europäer sind schließlich deutlich reicher als die Amerikaner) und kippt sich einen Eimer Eiswasser über den Kopf. Dafür darf die entsprechend bewässerte Person dann drei oder mehr weitere Personen bestimmen, die sich ebenfalls dieser Challenge stellen sollen. Der Trick bei der ganzen Geschichte ist, dass man sich aus der Angelegenheit freikaufen kann, so man bereit ist, anstelle von 10 €/$/(macht Japan mit? Wiviel währe der Preis in Yen?) den zehnfachen Betrag, also einhundert Euro zu spenden.
Als Beweiß des eigenen Mutes wird nicht nur die Behauptung online gestellt, dass man sich den Eiskübel angetan hat, sondern auch eine Video-Aufname gemacht, die entsprechenden Vorgang des Nerfenschocks dokumentiert.
Und da kommt dann entsprechend der Witz ins Spiel, dass sowohl Prominente als auch Privatpersonen sich diesem Umstand stellen: Beispielsweise haben größen wie Amanda Palmer, Neil Gayman,George R. R. Martin oder auch Stephen King sich den Kübel über den Kopf gießen lassen. (Und ein deutscher Autor, dessen Video ich gerade nicht mehr wiederfinde.)
Im kleinen sind aber auch unzählige "normale" Personen oder halt auch bloggende Wesenheiten wie die Zeitzeugin oder die Chaosmacherin in die Dusche getreten. (Ich bin mir gerade nicht ganz sicher, wo ich LeFloid, die ewige Quatschnase unterbringen soll.)
Und das eine mysantrophe, selbstherrliche Person wie die Bundeskanzlerin natürlich mal wieder untermauert, dass sie alle Menschen hasst, sollte auch nicht weiter verwundern.

Anyway: Der Umstand, das man sich selbst vorrübergehend freiwillig einem Schock des eigenen Nerfensystems auf sich nehmen, der für sich selbst auch noch mal zum Exitus führen kann, wird sehr unterschiedlich aufgefasst. (Und das auch nicht jeder ehemalige Prominente an dieser Challenge teilnehmen sollte dürfte uns nur all zu bewusst sein, die wir in den 80ern groß geworden sind.)

Während der Postillion sich um die sinkenden Eisvorräte Weltweit sorgen macht, äußern einige andere Stimmen sich kritisch, wie man es nur wagen könnte einen Eimer Wasser sich über den Kopf zu gießen, während in Afrika Menschen verdursten. (Nur zur Erklärung: Der Postillion ist eine Satire-Seite. Aufreger bezüglich der schlechten Recherche solcher Artikel müsst ihr an die Bild schicken, die behaupten die Wahrheit zu schreiben. Der Postillion erfindet sowas frei Haus und gibt es auch offen zu. Der zweitere Punkt kommt noch, wenn ich zu meinem Ende hier langsam schreite.)

Zum Schluss hat mich ein Kommentar von Titus Dittman auf Facebook ein wenig nachdenklich gemacht. Er wolle die Position, hinter der er stehe nicht "verwässern". Zugegeben: Hier haben wir jemanden, der wirklich aktiv etwas im sozialen Bereich tut, und dessen Äußerung man nicht mir nichts dir nichts so wegwischen kann, aber ich nutze den deutschen Skatepabst nicht, um ihn hier durch den Schmutz zu ziehen, sondern um ein paar andere skeptische Äußerungen, die mir von weniger prominenten Personen zu Ohren gekommen sind und die einen ähnlichen Wortlaut auf die eine oder andere Weise nutzten, dabei aber eine andere Intention hatten noch einmal zu durchforsten.

Das Problem, dass sich mir nämlich gerade stellt ist folgendes: Der kritische Basiskommentar hinter solchen Aussagen (und dem Vergleich mit der Bierchallenge) ist der, dass die Ice Bucket Challenge als Hype nur deshalb betrieben würde, um ein sehen und gesehen werden daraus zu machen. Sprich: Eigentlich sei es ein soziales Ereignis, dem nur der wohltätigkeitsaspekt aufgepropft wurde. (Und bei dem die meisten gar nicht wissen, was sie da eigentlich anstellen.)
Wenn man jetzt willkürlich einzelpositionen aus der breiten Masse der Ice Bucket Challenges herauspickt, stimmt das sogar. Aber, wenn man genauer hinsieht gibt es immer wieder einzelne Personen, die nicht nur auf das Ereignis Ice Bucket Challenge hinweisen, sondern auch darüber hinaus den Hintergrund erneut aufgreifen. (Für Erklärungen ist also im Grunde gesorgt.)

Der zentrale Punkt, der die meisten hinter der Ice Bucket Challenge darüber hinaus stört ist vermutlich aber auch, dass hier ein Großereignis für einen längeren Zeitraum geschaffen wird, das aus subjektiv unhabhängigen, fraktalen Einzelereignissen besteht. (Man "erlebt" hierbei nicht ein einziges Ereignis in der Rückschau, wie es normalerweise im Zusammenhang mit Wohltätigkeitsereignissen stattfindet, sondern der gleiche Moment wiederholt sich wieder und immer wieder. In viraler Vermehrung über die Timelines von Twitter und Facebook verbreitet.)
Der Punkt der mir dabei auffällt ist eigentlich folgender: Wenn wir die Kritikpunkte einer verwässerten Aussage in Kombination mit dem gerade beschriebenen Zusatzmomenten und dem zu erziehlendem Zweck aufwiegen: Was bleibt letzten Endes eigentlich anderes übrig als die Ice Bucket Challenge mit einer Wohltätigkeitsgalaveranstaltung gleichzustellen?
Grundsätzlich laufen solche Galaveranstaltungen nämlich unter den gleichen Gesetzmäßigkeiten ab: Es gibt Kosten für die Ausrichtung der Veranstaltung, die dem betroffenem Endzweck ebensogut hätten zu Gute kommen können. Aufgrund von Pressemitteilungen wird nicht über die Veranstaltung als solche berichtet, sondern eher über die Gäste, so das entsprechende Ereignis wert auf Prominenz legt, in welcher Größe auch immer, die für die Regenbogenpresse von Bedeutung ist. (Sehen und Gesehenwerden sind also deutlich zentraler im Vordergrund einer solchen Veranstaltung, als es der vermeitliche Zweck dahinter dann tatsächlich ist.) Der einzige Unterschied zur Ice Bucket Challenge im Vergleich zu einer Wohltätigkeitsgala liegt in dem temporär konzentrierten Augenblick des entsprechenden Ereignisses. Und in dem dadurch auch entstehenden Moment konkreter, ästhetischer Forderung nach "angemessem" häßlicher Bekleidung. (Ihr wisst schon: Kragen, Sackos und kastrierte Henkersstricke.) Eben alles, was einen konservativen Geist ausmacht, um sich "wichtig" zu fühlen.

Das, was die fraktalität des Ereignisses Ice Bucket Challenge jetzt dem entgegensetzt (und dadurch wieder einmal die tatsache Untermauert, dass es keine Leitkultur eines selbsterklärten Mainstreams wirklich gibt, sondern nur eine subjektgebundene soziokulturelle Einzelästhetik unter vielen) ist die Tatsache, dass die Fraktalität der Einzelaugenblicke keinen Einblick in eine soziokulturelle Einzelgruppe gibt, die ein wie auch immer geartetes "Wir"-Gefühl verzweifelt zu propagieren versucht, sondern tatsächlich individuelle, ästhetische Momente einzelner Subjekte präsentiert, die auf diesem Weg ein Spiel mit ihrer jeweils eigenen Symbolik betreiben. Amanda Palmer bleibt in ihrem Video vollständig bekleidet. Neil Gaiman schreitet einen Strand entlang und reicht unterschiedlichen Inkarnationen des Todes seine Kleidung, bis er bereit ist vor seinen Schöpfer zu treten... oder halt eben eine kalte Dusche zu empfangen. Die Zeitzeugin bleibt vollkommen nüchtern und reduziert sich ohne jegliche Albernheiten auf den einen kleinen Moment in der Dusche. (Und wenn man weiter sucht stellt man sehr schnell fest, dass einige Leute mehr mit genau diesen kleinen Elementen jeweils spielen und sie für sich zunutze machen.)

Die Basiskritik an der Ice Bucket Challenge als solcher lässt sich also nur dadurch erklären, dass hier wieder einmal reines Beißverhalten ausbricht, sobald die entsprechende Hoffnung unterminiert wird, dass eine bestimmte Subkultur ganz bestimtmer Individuen sich wieder einmal als nicht dominant präsentiert. (Wer sich jetzt davon angesprochen fühlt, darf das gerne für sich entscheiden: Ich bin es nur langsam leid ständig zu wiederholen, dass soziokulturelle Bewegungen auch dank unserer zunehmend beschleunigten Gesellschaft ein immer stärkeres Standbein besitzen.)

Die Ice Bucket Challenge hatte einen unglaublichen Erfolg, so das man jetzt mittlerweile nachsehen sollte, welche Organisationen sie neben der ALS Association eventuell mit dem Thema beschäftigen. (Die dürfte dieses Jahr nämlich schon lange nicht mehr wissen, was sie mit den ganzen Geldern anstellen soll und dementsprechend vorrübergehend ein klein wenig gelähmt sein.)

EIn anderes Thema ist der Umstand, dass man sich nach der Ice Bucket Challenge etwas neues einfallen lassen muss, um mit etwas ähnlich Prominetem ins Gerede kommen zu können. Denn leider hat das Internet dann doch eine gewisse, postmansche Sensationsgier in sich, die irgendwie befriedigt werden können muss.

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