Montag, 24. August 2015

Ortsbezüge von Artefakten


Okay... ich tue mich jetzt ein wenig schwer, weil das Thema, über das ich jetzt im Zusammenhang mit dem August-Karneval ins Grübel gekommen bin, doch etwas kompleer ist, um es mal eben so zu beschreiben. Wie der Startbeitrag auf „Spiele im Kopf“ schon so richtig schön festhält: Artefakte sind das Ergebnis eines Schaffensprozesses von kulturellem Hintergrund. Das bedeutet zwar, dass es sich hierbei letzten Endes um alles mögliche Handeln kann, was bei sehr Banalen Gegenständen wie Klopapier anfängt, und dann weitergeht über eher undurchdachte Krampfschriften wie verträge auf welchem Material auch immer und dann bei wirklichen Produkten echten Wertes wie einem Guernica eines Pablo Picassos aufhört, allerdings für unseren Speziellen Hobbyfokus sind Artefakte doch ersteinmal deutlich interessanter, wenn sie spezielle Eigenschaften mit sich bringen. (Und ja, ich rede dabei von magischen Aspekten.)

Hierbei müssen wir uns bei Artefakten jeglicher Art Fragen, unter welcher Funktion der magische Ansatz jetzt überhaupt zum tragen kommt: Handelt es sich um so etwas simples wie einen Stab der Heilung, oder das +1-Leaveblade, welche ja allgegenwärtig sind, oder gehen wir irgendwo eine Klasse weiter rauf. Handelt es sich also um einen Gegenstand, der sogar einen Namen hat, oder der dermaßen einmalig ist, dass er sogar einen Namen trägt, eventuell ein Bewusstsein hat, oder eine
besondere Geschichte hinter sich herschleift? (Ich würde jetzt zum Beispiel den Prager Golem eindeutig in diese Kathegorie packen.)

Der Punkt bei diesen Sachen ist, dass alle diese Gegenstände zwar mit besonderen Attributen irgendwie versehen sind, die in bestimmten Zusammenhängen ausgeprägt sind. Aber: In der Regel sind sie in unserer normalen Vorstellungskraft unglaublich Mobil einzusetzen. Geht man aber mal die archaischeren Kulturen durch kommt sehr häufig in der Geschichte der Menschheit etwas vor, dass für unser Hobby (vermutlich aus Bequemlichkeitsgründen) meistens übersehen wird: Es gibt auch noch den Aspekt des Ortsbezuges.

Um das, was ich meine, zu erklären, werde ich gleich ein wenig zwischen verschiedenen Zeitabständen hin und her springen müssen, um diese spezielle Konzept ein wenig zu erleutern, und dabei weniger direkt auf das Hobby fokussiert vorgehen, sondern viel mehr mit meinem Wissen über Archäologie und Kunstgeschichte hantieren müssen. (Wobei Kunstgeschicht hier eher in der Tradition von Max Imdahl zu verstehen ist, der ja immerhin seine Studenten auch damit tritzte, dass diese sich mit der aktuellen Gegenwartskunst während ihrer Ausbildung auseinandersetzen mussten.)

Nichtsdestotrotz, zuerst einmal geht es way back ins antike Griechenland, als dieses gerade den Mythos in Form von Naturreligionen für sich entdeckte. Wie wir alle wissen, waren zu den damaligen Zeiten beinahe alle Naturphänomene in irgendeiner Weise beseelt – zumindest was die Vorstellungswelt der Bevölkerung anging. Auf diesem Weg waren in Bäumen Dryaden beheimatet und Bachquellen die entsprechenden Heimstädten der jeweiligen Flußnymphen. Der zentrale Punkt bei dieser Angelegenheit ist, dass entsprechende Wesenheiten jeweils nur an dem entsprechenden Punkt verehrt werden konnten, und somit eine geographische Limitierung erfuhren. Man pilgerte an den entsprechenden Ort, um die entsprechende Naturgottheit an dieser speziellen Stelle zu verehren. Und aus genau diesem Grund wurden an den entsprechenden Stellen Skulpturen aufgestellt, welche als repräsentierende Bilder der jeweiligen Wesenheit diehnten. (Die jeweils in der Natur untergebrachten Götterbilder hatten also einen sehr konkreten Bezug zu ihrem jeweiligen Ort.) Das hies, man nahm eine Pilgerreise auf sich, die den jeweiligen, gläubigen Bittsteller an einen ganz konkreten Ort führte und gab ihm in gewisser Weise einen Adressaten in Form einer Statue, welche diesen Ort sowohl definierte als auch Repräsentierte, um sein Anliegen vorzutragen.

Griffiger für unser Hobby sind dann schon fast „besondere Konstellationen“, welche bestimmte Artefakte mit ihrem jeweiligen Ort zu einer Einheit werden lassen. Das bekannteste Beispiel in dem Bereich ist vermutlich das allseits beliebte Stonehenge in England, von dem ja zumindest die Archäologie ausgeht, dass es mehrfach errichtet und wieder abgebaut wurde, bis es an seinem heutigen Ort aufgestellt worden sei, an dem am Morgen der Mittsommerwende die Sonne direkt über dem Fersenstein aufging und so in einer direkte, geraden Linie ins Innere des Bauwerks eindrang. (Welche Form von verehrung an dieser Stelle jetzt genau passierte ist natürlich nicht bekannt, jedoch zeigt dieses Realweltliche Beispiel halt eben sehr gut, dass eine bestimmte kultische Handlung sehr exakt mit dem Verlauf der Jahreszeiten zelebriert worden sein muss.) Insofern ist das Artefakt also Stonehenge also an einem sehr speziellem Ort aufgestellt worden, der für die Konstellation von Himmelskörpern eine Rolle spielte. Es veränderte diesen Ort und half dabei, im Rahmen bestimmter Situationen die Wahrnehmung zu leiten. (Das ist deswegen im Hinterkopf zu behalten, weil der Ort des Geschehens im Zusammenhang mit Artefakten in der Regulären Fantasy eigentlich meist keine wirkliche Rolle spielt. Wenn wir jetzt zum Beispiel mal den alten Klassiker „Der dunkle Kristall“ heranziehen – ich werte den Kristall in diesem Zusammenhang jetzt mal eindeutig als Artefakt – so haben wir hier zwar sehr eindeutig das Zusammenspiel des entsprechenden Moments, der mit einer speziellen Konstellation zusammenhängt, an dem ein Gelfling zu einem speziellen Zeitpunkt das Artefakt repariert und damit eine Prophezeiung erfüllt, aber bis auf die Tatsache, dass aus dramatischen Gründen der Kristall direkt „unter“ der großen Konjunktion steht, spielt das aber eigentlich keine weitere Rolle mehr.)

Meine Überlegung geht jetzt aber viel mehr in eine spezielle Richtung, welche ich vermutlich mit der Arbeit der Gegenwartskünstlers Richard Serra am besten erklären kann, denke ich. Serras Skulpturen, welche in der Regel aus nur minimal bearbeiteten Brammen bestehen, funktionieren tatsächlich nach dem Prinzip der „Sighspecifity“, welche vom Künstler selbst propagiert wird. Was muss man sich darunter vorstellen?
Serras Skulturen werden für einen sehr speziellen Ort in ihrem gewalltigen, umfangreichen, physischen erscheinung geschaffen. Das heißt, dass sie in der Regel nicht einfach so mit einem schnellen Blick zu erfassen sind. Hierfür muss man wissen, dass unter diesen Bedingungen der Begriff „Ort“ eine konkrete Gegebenheit an geographischen Eigenschaften ist. Die Skulpturen Serras verändern dadurch, dass sie in diese jeweilige Landschaft (die auch architektonischer Natur sein kann) gestellt werden, die Möglichkeit den jeweiligen Ort wahrzunehmen. Der Ort wird durch die Beschränkungen in den Sichtlininien umstruktiert und dadurch in einen Raum umdefiniert, dessen Eigenschaften nur aktiv erfahren werden können, indem man durch die Bewegung des eigenen Körpers durch diesen Raum die Grenzen und Bezüge der jeweiligen Skulptur überhaupt erst begreifen kann. (Eines der besten Beispiele in dem Bereich war vermutlich die Skulptur des Tilted Arcs, der einen sehr zentralen Punkt an Publikumsverkehr auf einem öffentlichen Platz beschränkte und deswegen unbeliebt war, weil auf diesem Weg unmengen Personen, die auf dem Weg von und zur Arbeit über diesen Platz mussten, einen Umweg um die entsprechende Skulptur herum machen mussten. Auch schien es damals für einige Leute angesichts bestimmter Sicherheitskonzepte unbequem geworden zu sein, weswegen das entsprechende Artefakt wieder entfernt wurde.) Heutzutage ist vermutlich (und gerade hier für uns in Deutschland) wohl die in Essen aufgestellte „Bramme für das Ruhrgebiet“ die am einfachsten zugängliche Skulptur Serras, was das Begreifen dieses Konzeptes anbelangt.

Warum ich diesen ganzen Aufwand an Kunstgeschichte jetzt eigentlich betrieben habe? Nun, im Grunde genommen stellt sich mir gerade die Frage, ob es nicht ein interessanter Ansatz ist, wenn ein solches Artefakt im Rollenspiel eventuell tatsächlich über den mystischen Ansatz hinaus, der es in einer speziellen Konstellation oder auch nur konkreten, kultischen Handlung einer besonderen Eigenschaft gibt, nicht noch eventuell tatsächlich innerhalb eines sehr konkreten Ortes bezüge verschafft. Und zwar gerade so, dass man durch das entsprechende Artefakt im Rahmen des jeweiligen Ortes überhaupt etwas besonderes zu erfahren gibt. (Denkbar sind hier sehr verschiedene Dinge, die auf diesem Weg genutzt werden könnten. Beispielsweise wäre ein spezieller Gegenstand denkbar, der zu einem gesonderten Zeitpunkt nicht an einem speziellen Ort sein darf, um zu verhindern, dass etwas katastrophales passiert. Ebenso währe ein spezieller Kristall denkbar, der als Prisma für einen sehr konkreten Lichteinfall diehnt, der nur alle Nase lang mal passiert und dann in einem Raum spezielle Geheimnisse preis gibt, weil er sehr spezielle stellen von Texten beleuchtet, die an der Wand festgehalten wurden, und deren beleuchtete Teile zusammenbetrachtet einen follkommen neuen Sinn ergeben.)

Das sind hier nur erste Ansätze, wie man mit einem solchen Konzept spielen könnte. Aber es würde letzten Endes das McGuffin-Konzept z.B. ein wenig aufbrechen und ihm neue Möglichkeiten geben, denke ich. Hierbei ist langfristig einiges, neues Denkbar, aber man müsste mit diesen speziellen Möglichkeiten im Hinterkopf erst einmal Anfangen, den entsprechenden Dialog zu führen.

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