Montag, 2. Juni 2014

Die Gratis-PDF-Flut

Ich bin mir gerade nicht ganz sicher, in welche Richtung ich im Moment hinauswill, mit dem, was ich jetzt schreibe. Nur: Über die Jahre fallen ein paar Faktoren natürlich immer wieder mal auf, die unser Hobby derzeit nachdrücklich zu prägen scheinen.

Den Start dürfte wohl WotC 2000 gemacht haben, als sie mit der Open Game Licence und dem SRD es anderen Verlagen erstmals einfacher machten, Produkte für das damals kritisch beäufte D&D 3 herauszubringen. (Der klassische Weg, Lizenzen erwerben zu müssen, entfiel dadurch. Die Folge war dafür eine wahre Tsunami-Welle an allen Möglichen D20-Publikationen, welche meistens eher Schrott, als wirklich interessante Ideen vorzuweisen hatten. Ich sage meistens, wie ihr merkt.)

Womit WotC damals anscheinend nicht gerechnet hatten war, dass die Fanszene von A(D&D) also allem, was vorher von TSR herausgegeben wurde, nicht wechseln wollte, sondern lieber neue Produkte für diese alten Systeme haben wollte.
Die Folge waren dann anschließend die sogenannten Retro-Clone, welche im englischsprachigen Raum ja deutlich mehr Freunde finden als es hierzulande der Fall ist. (Mit Labyrinth Lord ist ja sogar ein einzelner Vertreter bis nach Deutschland rübergeschwappt, aber an dem hat wohl selbst Old School Papst Moritz Mehlem die Lust verloren, wenn man sich dessen Aktivitäten in der restlichen Szene so ansieht. Derzeit arbeitet er ja an der Übersetzung eines Indie-Spiels. Jedenfalls ist die OSR im deutschsprachigen Raum anscheinend gescheitert. Und Dinge wie Lamentation of the Flameprinces oder Hackmaster wird es hierzulande sicherlich nicht mehr geben.)

Das die Idee der OGL und des SRDs trotzdem weiter aufgegriffen wurde, brauche ich hier wohl nicht zu erzählen, oder? Letzten Endes ist der Grund, für die ganzen, kleinen Fate-Derivate, an denen so fleißig gewerkelt wird, ja der Umstand, dass es sich bei Fate wiederrum um ein Kind der OGL handelt, das ein eigenes SRD zur verfügung stellt, auf das dann entsprechend interessierte Entwickler zurückgreifen können. (Und ich habe jetzt nur die aufgezählt, die mir gerade spontan in den Sinn kamen.)

Jetzt muss man natürlich noch einen anderen Punkt hinzufügen:

Auf all diese Marktdominanz der "Großen" müssen andere, deutlich kleinere Systeme natürlich irgendwie reagieren. (Die Forge-Autoren haben das mit einer gewissen Aroganz hinbekommen, indem sie sich gegenseitig gepuscht haben sollen. Ich habe irgendwo einmal gelesen, das die meisten Erzählspiele nur deshalb ihren heutigen Stand erreichen konnten, weil die einzelnen Forgeautoren mit Copy-Store Prinouts ihrer Spiele sich auf den Cons - wohl speziell der Gen-Con - am Bierstand trafen, einander gegenseitig auf die Schultern klopften und dann als kleinen Anreiz die Spiele des jeweils anderen kauften.) Ein anderer Weg wurde mit dem  aufkommen des PDF-Formats von Adobe und dem nutzen von selbigem im Digitaldruck nur allzu deutlich: Ein kleines System kann nicht so viel stemmen, wie ein großer Spielekonzern, der schon Jahrelang am Drücker ist. Vor allen Dingen nicht bei einem Hobby wie dem unsrigen, wo man teilweise ein Vermögen in ein Grundregelwerk steckt und es dann später irgendwann enttäusch in den Schrank zurückstellt. Die kleinen Systeme können sich letzten Endes nur über Mund zu Mund Propaganda einen Ruf machen. (Und dadurch wird der Print on Demand-Anbieter plötzlich wieder sehr interessant.) Also haben einige Autoren (gerade hier in Deutschland, wie es international aussieht weiß ich nicht), aus der Not eine Tugend gemacht und sich dazu entschlossen, ihr fertiges Grundregelwerk zum kostenlosen Download zur verfügung zu stellen. [Beispiele dafür: Degenesys, Dungeonslayers, Ratten! & Funky Colts des Projekt Kopfkinos - die hatten ja am Anfang tatsächlich sogar "nur" ein PoD-Angebot zum Aufwerten gemacht, ehe sie aufgrund der schlechten Lulu-Ergebnisse eine Kooperation mit Prometheus Games gemacht hatten - Opus Anima (Ich muss ehrlich sagen: Bei diesem Spiel bin ich zum ersten mal über das Konzept kommerziel Orientiertes Team mit kostenlosem Grundregelwerk gestolpert... auch wenn Degenesys natürlich der Vorreiter in dem Bereich war), 1W6 Freunde und zuletzt das noch sehr junge Los Muertos.)

Bevor hier jemand ohne Schuld daherkommt (Ihr wisst schon: erster Stein und so... *grillenzirpen* ): Mir ist selbst klar, dass von den hier aufgezählten nur die beiden Projekt Kopfkino-Sachen tatsächlich eine Zeit lang im PoD-Angebot erhältlich waren. Ich habe immerhin das Grundregelwerk von Ratten! aus Spanien mir zuschicken lassen und auf einer der ersten Mitspielen in Münster von David Grashoff signieren lassen. Das ist auch nicht der Punkt. Es geht mir bei der Erwähnung der Print on Demand-Funktion vielmehr darum, dass hier keine vortlaufenden Kosten in Sinen von Lagerhaltung und dergleichen entstehen. Das heißt zwar, dass der Autor zwar immer noch in der Pflicht steht, sich um die "Werbung" für sein Kind zu kümmern, damit böse Stiefeltern es adoptieren, aber er ist beiweitem nicht so sehr unter Druck das, was bei ihm Platz wegnimmt wieder loszuwerden, weil er in eine deutlich höhere Vorkasse gegangen ist, als es mit dem "reinen" PDF vorher der Fall war.
(Und das man mit Rollenspielen zumindest hierzulande nicht reich werden kann hat ja Christian Loewenthal erst vor kurzem angefangen zu erklären.)
Das kostenlose PDF sorgt halt für so etwas wie einen zusätzlichen Synergie-Effekt, der dann eventuell, bei Gefallen, tatsächlich dafür sorgt, dass ein entsprechendes Grundregelwerk fürs Regal angeschafft wird. (Zumal auch nicht jeder unbedingt ständig mit einem Bildschirm rumhantieren möchte. Egal wie verbreitet mittlerweile die Tablet-Technologie durch Adroid und iOS ist.)
Die vermutlich gewiefteste Strategie in dem Bereich fürfte die "Pay what you like"-Aktion gewesen sein, die Evil Hat für Fate Core & Fate Accelerated gemacht hatte. Hier wird es letzten Endes dem Fan überlassen, wie viel er für das PDF zu zahlen bereit ist. (Und ja: "Für Umme" ist dabei die mit eingerechnete "Preiskalkulation".)

Ein anderer Weg, um Groß zu werden, ist der Augenblick, an dem man eine Community ins Boot holt, bevor das Buch in irgendeiner Form überhaupt existiert. (Und damit meine ich nicht, das man sowas wie einen Opensource-Code raushaut und den Entwicklern da draußen sagt "Macht mal."... das stellte ja im Grunde schon die Idee hinter der OGL dar.) Paizo Publishing hatten ja bekannter Maßen am Anfang der doch recht Rüden D&D 4-Lizenzpolitik die Nase gestrichen Voll von WotC und sagten Sinngemäß "Wir ziehen jetzt unser eigenes Ding durch." Jetzt hatte Paizo aber auch einen Vorteil bereits auf seiner Seite: Sie waren durchaus schon ein Name gewesen, weil sie mit dem Pathfinder Magazine und den Pathfinder Adventurepaths innerhalb der Szene von D&D 3.5 für Aufsehen gesorgt hatten. (Und die zaghaften Erfolge der OldSchool-Szene dürften vermutlich auch ein wenig dazu beigetragen haben.)  Jedenfalls konnte Paizo in Form eines Beta-Tests unzählige Fans der D&D 3.5er-Generation ins Boot holen, welche "ihr" System kannten, die schwachstellen zur Genüge durchlebt hatten, und in Form eines Beta-Tests wurden diese alten Regeln aufgebohrt und verbessert. Das Endergebnis war das Pathfinder-RPG von 2009... und das hat WotCs D&D doch deutlich die Primusstellung abgegraben. (Zumal D&D 4 zwar von der Regelseite her durchaus stabil war, sich aber weniger als Rollenspiel, sondern viel mehr als Brettspiel mit MMO-Feeling spielen ließ. Das kam halt nicht so gut an.)

Dieses "wir stechen von Unten nach ganz Oben" als Strategie hat sich anscheinend insofern ausgezahlt, dass hüben wie drüben die Verlage nachdenken mussten. (Und wohl zum ersten mal festgestellt haben, dass sie nicht nur Kunden, sondern tatsächlich "Fans" hatten. Ein Konzept, dass für eine relativ unindividuelle Buiseness-Welt, wie sie gerade Hasbro darstellt, vollkommen neu war. Für uneingeweite: Der Hersteller von Furby und M.A.S.K hat irgendwann im Jahre 1999 auch die Küstenzauberer geschluckt.)

Direkte Folgen aus dem ganzen konnte man jetzt in den letzten paar Jahren beobachten:

Den Anfang machte wohl WotC, als sie mit "D&D Next" einen Playtest für die 5te Edition von D&D ausriefen. Man hatte wohl festgestellt, das bei Paizo dieses Vorgehen unglaublich gut funktioniert hatte. (Irgendwo auf meiner Festplatte fliegt sogar noch die letzte Version des Next Playtest-Dokuments rum.)

Jetzt hat der Uhrwerk-Verlag mit seinem Splittermond-Projekt letztes Jahr genau das Gleiche gemacht. (Und dabei zum einen Festgestellt, das ihre ursprüngliche Regelfassung nichts taugte. Die Folge war das vielzerrissene Beta zur RPC, die weitere Verschiebung der Regeln nach Hinten... und jetzt zum Schluss die Tatsache, dass zuerst der Settingband bis Heute das einzige fertige Buch ist, das rausgekommen ist. Es soll zwar in absehbarer Zukunft endlich auch der Regelband hinterherkommen, aber: Fantasieren wir mal einfach weiter. Warum sollte sich jetzt noch jemand Splittermond zulegen wollen? Wir haben doch genügend Fate-Regelbücher da draußen rumstehen und könnten uns mit Hilfe des Settingbandes einfach die Welt auf diesem Weg adaptieren.)
Die letzte große Neuigkeit zur RPC war dann die Tatsache, dass der Regelband ebenfalls als kostenlose PDF rauskommt.

Was viele jetzt so interpretieren, dass Ulisses Spiele unter zugszwang wegen ihres ehemaligen Schülers vom Uhrwerkverlag geraten sind, kam zur RPC dann auch das Startdokument für die DSA 5 Beta raus. (Ich werde mal einen flüchtigen Blick bei Gelegenheit riskieren. Was mir bis jetzt nur aufgefallen ist: Scheinbar erlebt das Rollenspiel der deutschen Hotzenplozigkeit, wie es zuletzt genannt wurde, gerade seinen ersten Editionwar im entsprechenden Verlagsforum.)

Soweit so uninteressant. Derzeit sind die großen Verlage darum bemüht es den Kleinen in Sachen Beta-Tests zur Fan-Generierung nachzumachen. Aber warum dann der Ganze bohei mit einem gewaltigen Rückblick?

Ahm... sagen wir es mal so: WotC hat die Bombe platzen lassen, dass zumindest die grundlegensten Regeln (sowas wie ein "Starterset", nur deutlich umfangreicher als bislang) als Kostenlose PDF herausgegeben werden. Das sind zwar noch lange nicht die "Big Three" des D&D-Grundregelwerkkosmos, aber doch deutlich mehr, als man es einem Dollar-Augen-Monster wie Hasbro letzten Endes zugetraut hätte. (Scheinbar stechen jetzt die großen von Oben mit Lanzen auf die Kleinen nach Unten. In der Hoffnung, diese wieder Klein zu kriegen.)

Und in Folge aus diesem Ganzen "Wir machen uns gegenseitig alles Nach"-Wirrwarr liegt nun mein persönlicher, fragender Blick gerade auf Ulisses-Spiele mit DSA 5. (Vor allen Dingen, ob die eine solche PDF-Aktion überhaupt stemmen könnten. Es wurde auch schonmal gemauschelt, das es dem DSA-Heimatladen derzeit nicht all zu gut geht.)

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