Dienstag, 18. September 2012

Rezension: David Grashoff - Sackaffen

Cover: David Grashoff
Sackaffen
Verlag: Lektora
David Grashoff dürfte den meisten hier wohl für siene tätigkeit als Chefredakteure des Projekts Kopfkinos bekannt sein. So erstanden unter seiner aufsicht Spiele wie „Funky Colts“ oder „Ratten!“.

Damit verbunden versucht sich Grasi, wie er in der Forenwelt genannt wird aber auch als autor von Kurzgeschichten und genießt seit einiger Zeit innerhalb NRWs einen Ruf als Poetry-Slammer.

Sackaffen ist jetzt in diesem Zusammenhang eine Vermischung aus beidem. Meines wissens nach ist es nach zahlreichen Beteiligungen an verschiedenen Antologien der erste Band der ausschließllich Texte enthält, die aus Grasis Feder stammen. Wie man das allerdings bewerten soll wollen wir uns jetzt hierbei anschauen.

Auf den ersten Blick fällt natürlich die äußere Erscheinung besonders ins Auge: Das Buch ist in einem rosaroten Umschlag gehalten auf dessen Titelbild ein weiblicher Affe sich in einen…. naja, sagen wir seltsamen Untergrund krallt. (Das es sich hierbei um die Titelgebenden Tierchen handelt muss ich wohl nicht extra noch erwähnen. Die Tatsache, dass ich den Untergrund als seltsam bezeichnen würde liegt einfach daran, dass die Auswüchse auf dem Bild verstärkt an Tentakel erinnern, anstelle von Scharmhaaren.)

Inhaltlich ist das Buch in drei Teile aufgeteilt. Den Anfang bilden die Slam-Texte, mit denen Grasi sich auf den Bühnen präsentiert. Der zweite bilden Kurzgeschichten, für die Grasi ja zuerst verschrien war. Als drittes, unter dem Oberbegriff „Bonustracks“ zusammengefasst, kommen einige Essay-Artige Texte, die sehr unterschiedliche Sichtweisen von Realitätswahrnehmung beschreiben. Aufgelockert werden diese mal mehr und mal weniger langen Texte immer wieder durch weitere Illustrationen von Volker Konrad, der auch für das Cover verantwortlich ist.

„Doch was schreibt Grasi denn so?“, wird wohl jetzt die nächste Frage sein, die gerade den meisten hier auf den Fingern brennt. Nun, dass ist nicht ganz so einfach zu beantworten. Vermutlich fährt man am besten, wenn man die Slamtexte als einen wilden Mix irgendwo zwischen Humor und zotigem Gassenhauern einzuordnen versucht. (Was speziell bei den immer wieder mal auftauchenden ziemlich eindeutigen Themen eine gute Beschreibung abgibt.) „Der doppelte Ingo“ ist dabei der Selbstmordversuch an Zuckerschock nach dem Verlassen werden und des Hasses auf einen Ikea-Tisch. „Stell die Welt auf den Kopf“ war Grasis Beitrag zur NRW Slam Meisterschaft 2011. „Sackaffen“*, der titelgebende Text handelt von den absonderlichen Vorlieben des Ich-Erzählers und den daraus laufenden Folgen, wenn man solche Tiere einmal eingefangen hat. „Schöne Bescherung“ ist der peinliche Rückblick auf Zeiten, in denen man wirklichen jeden absurden Job angenommen hat. Sogar den des Weihnachtsmannes. Als Sprechrolle.

Bei „Mein kleines Nerd-Mädchen“ handelt es sich um eine Liebeserklärung an das Ideal, das man als Seelenverwandte sucht, aber wohl nur selten wirklich finden kann. „Selbst ist die Frau“ stellt ein kurzes Gedicht dar, über Frauen mit Minderwertigkeitskomplexen und Baumarktsilikon. „Eine Detektivgeschichte“ stellt den Grund dar, was Film-Noir-Detektive wirklich denken. „Meine Welt“ und „Pimmelbingo“ sind Abrechnungen an der Welt im allgemeinen, wie man so schön sagt. „Tourette Baby“ stellt schließlich die Frage, was passiert, wenn bestimmte Geistesstörungen vererbt werden. „Gott ist ein Cheater oder World of Warcraft, wie es sein sollte“ stellt eine andere Sichtweise von Realitätsverlust dar. „Oh Gottohgottohgottohgottohgottohgott!“ geht es um einen Panda-Gott, der seine Listen führt. „Hass“ stellt ein kurzes Gedicht dar, was passiert, wenn in einer ganz bestimmten Gruppe unter berauschendem Einfluss unangebrachte Gefühlsausbrüche sich manifestieren. „Reh in Sekte“ macht sich über ein Reh bei den Scientologen lustig. „Darth Vaders geheimes Tagebuch“ gibt Einblicke in das Seelenleben eines grenzdebielen, Rosa Putzhandschuhe und Ewok-Pantoffel tragenden Filmbösewicht, der neue Sithlords mit komischen Namen versieht. (Es handelt sich hierbei um die alte Version. Wer also „Darth Vadder-Abraham“ dabei erwarte wird leider enttäuscht werden.) In „Deine Liebe schmeckt nach Leitungswasser“ geht es um die unterschiedlichen Begriffe von Romantik zwischen den Geschlechtern. „Hitler ficken oder Wie „2 Girls, 1 Cup“ mein Leben veränderte“ ist schließlich die Grundlage aus welchen Quellen ein Glückloser Autor schließlich die Aufmerksamkeit seines Publikums an sich bindet. (Und wie das ganze dann doch noch zu einem Sinnvollen Ende gebracht wird.)

Die Kurzgeschichten schließlich sind eine ähnlich gelagerter wilder Mix aus unterschiedlichen Themen. „Der Limbo-König von Oer-Erkenschwick“ entführt den Leser in die Fantasy Welt eines leicht zurückgebliebenen Kindes. „Der Autobahn-Heiland“ beschreibt die Lebensgeschichte eines Ehemaligen Autobahn-Reinigers, der auf der Arbeit eine neue Berufung an sich reißen konnte. „Kettenreaktion“ beschriebt die Folgen von zu vielen schlecht laufenden Beziehungen. Im Weltall. „Der Parasit“ ist die Geschichte von jemanden, der seinen eigenen Weg zur Heiligkeit in der heutigen Welt erkauft. „Innere Werte“ ist die Geschichte eines mutierten Rinderbandwurms und nervtötenden Nachbarn. „Der Gestank“ dreht sich um die Lebensgeschichte eines von seinem eigenen Körperduft geplagten Menschen und was ihm ansonsten noch passiert.

Die „Bonus-Tracks“ sind schließlich, wie bereits gesagt, fünf Texte die weder in der einen noch der anderen Gruppe an Texten zuzuordnen sind. „Sommerlieb“, „Herzschlagborer“ und „Wie Ich“ stellen dabei eher existentialistische Kommentare zu einer perspektive auf das derzeitige Leben zwischen Fantasie und Pessimismus dar. „Ich sehe was was du nicht siehst… und es ist Kunst“ beschäftigt sich in sehr einfachen Worten mit der Frage, ab wann man von einem künstlerischen Selbstverständnis sprechen kann. Die Frage „Was Kunst eigentlich will“, wie man so schön sagt.

„Der Fuchs“ hingegen passt eigentlich so gesehen nicht mehr hierzu, da es sich dabei um ein Kurzgedicht handelt, welches sich als Abschluss noch einmal ironisch um die Funktion dieser Bonustracks in gewisser Weise beschäftigt. Sie sind der Schwanz, der unbeantwortet an der ganzen Geschichte noch hinten dran hängt.

Fazit

Um eine Bewertung des Buches abzugeben, muss ich vermutlich noch einmal kurz darauf eingehen, was Poetry Slam eigentlich ist: Die Texte, die hier vorgetragen werden sind für einen Dichterwettstreit verfasst worden. Sprich: Der Vortragende muss in einer performativen Darbietung seines Textes in einer verhältnismäßig kurzen Zeit ein Publikum gegenüber Anderen von seinem Text überzeugen, indem er dieses Mitreißt. Das heißt, dass ein Slam-Text als ästhetisch zu erfassendes Werk nicht allein von der schriftlichen Vorarbeit abhängt, sondern das Gesamtkunstwerk durch die „Vortragskunst“ des Autors erst entsteht. Das heißt natürlich, dass bei diesem Buch ein sehr zentraler Bestandteil, nämlich Grasi selbst, erst einmal fehlt. (In Zeiten von Youtube kann man sich bei einigen der Texte in Sackaffen aber durchaus ein eigenes Bild machen, wie diese Texte funktionieren.)

Glücklicherweise hat Grasi aber ein halbwegs glückliches Händchen bei der Auswahl seiner Texte aufgezeigt, weil große Teile der Slamtexte durchaus auch ohne seinen Vortrag einen positives Schmunzeln hinterlassen. (Speziell seihen hier „Darth Vaders geheimes Tagebuch“, „Stell die Welt auf den Kopf“ und „Mein kleines Nerdmädchen“ erwähnt. Diese Texte sind in ihrer Struktur durchaus so, dass man spontan Bilder im eigenen Kopfkino hat, welche in die richtige Richtung gehen sollten.) Bei Dingen wie „Reh in Sekte“ müsste man vermutlich tatsächlich einen Bühnenauftritt miterlebt haben, bei dem dieser Text zum besten gegeben wurde.

Insgesamt bringt dieser Band aber definitiv für Fans des „Genres“ Poetry Slam aber die Möglichkeit unabhängig von der Bühnenshow und des damit verbundenen Wettbewerbserlebnis Grasis Texte noch einmal in Ruhe zu rekapitulieren und sich in diesem Sinne ein neues Bild von ihnen zu verschaffen. Und das hat in diesem Sinne durchaus seinen besonderen Erinnerungswert.

Die Kurzgeschichten hingegen sind „typische“ Grasi-Texte, wie man sie teilweise bereits gewöhnt ist, wenn man ihn vor der Poetry Slam-Geschichte bereits kennen gelernt hat. Die skurrilen Welten, die er bemüht wirken zwar irgendwo zwischen nur toll bis manchmal fragwürdig vom Thema her, sind aber grundsätzlich rund. Besonders schön ist dabei, dass hier ein paar Kurzgeschichten mit in den Band genommen worden sind, die bis jetzt zwar schon anderweitig veröffentlicht worden waren, aber in diesen entsprechend ursprünglichen Formen so gut wie unmöglich zu erhalten waren. (Ich will hier jetzt nicht meine persönliche Geschichte in Bezug auf „Der Autobahn-Heiland“ zum besten geben. Aber soviel sei gesagt: Es war absolut unmöglich.)

Die Bonustracks sind Geschmackssache, wie man so schön sagt. Nicht jeder wird allen Zusagen, aber der eine oder andere gute Ansatz ist definitiv dabei.

Insgesamt erhält man mit Sackaffen also ein Buch, dass nicht vollständig durch Gildstücke brilliert, aber durchaus sehr viele Highlights hier und da aus Grasis bisheriger Slam-Karriere enthält und den Fans von Kurzgeschichten ein paar gute Ergänzungen bietet. Man wünscht sich zwar direkt noch dazu einen Vorlese-Grasi, den man direkt neben das Buch ins Regal quetschen kann, aber da dies natürlich nicht geht bekommt man immerhin etwas, das beim stillen Rekapitulieren das eine oder andere Schmunzeln auf die Lippen befördern sollte. In diesem Sinne handelt es sich zwar bei Sackaffen um ein Buch das für eine ganz spezielle Klientel – den Fans der Poetry-Slam-Kultur – geschaffen wurde, allerdings kommt man als Fan oder „Bruder im Geiste“ von eben dieser Gebaren voll auf seine Kosten. Leute, die Neugierig auf das gesamte Thema Poetry-Slam sind und (so wie ich) bisher keine Möglichkeit hatten, sich die ganze Geschichte einmal Live anzusehen, sollten nach der Lektüre zumindest eine grobe Vorstellung bekommen haben, was sie an Bühnenprogramm in der Realität tatsächlich erwartet.



* Ein amüsantes Detail hierbei ist übrigens, dass dieser Text als lose Inspiration für einen kurzen Comedy-Film gedient hat. Ebenfalls anzusehen auf Youtube.