Cover: Die alte Stadt Akira Band 01 Verlag: comicArt/CarlsenComics |
Ich habe etwas ungewöhnliches in die
Hände bekommen. Schaun wir mal, wohin uns diese Reise jetzt treibt.
Und zwar halte ich gerade den etwas A4 großen Band einer Serie in
der Hand mit der der Carlsen Verlag unter dem Inprint „Comic Art“
Anfang der 90er-Jahre in Deutschland den Appetit auf eine
Comic-Kultur geweckt hatte, die bis dahin mit dem eher
Franko-Belgisch oder US-Amerikanisch geprägtem Markt kaum im
Bewusstsein der meisten Personen gewesen ist.
Ich rede hier natürlich von der Reihe
„Akira“, die neben „Ghost in the Shell“ und „Sailor Moon“
hierzulande vermutlich den größten Impakt gehabt haben dürfte, um
Ende der 90er/Anfang der 2000er-Jahre dann zu dem Phänomen zu
führen, dass manche Comicfans angesichts der ganzen Manga-Kiddies
nur den Kopf hat schütteln lassen.
Aber worum geht es jetzt genau?
Handlungort ist „Neo-Tokyo“ im Jahre 2030, 38 Jahre nach einer
alles vernichtenden Explosion einer neuen Superbombe, welche große
Teile der zivilisierten Welt zerstört hatte und danach ersteinmal
die Menschheit zum Wiederaufbau zwang.
Der Fokus der Geschichte liegt auf der
Motorrad-Gang Rund um die beiden Gewerbeschüler Tetsuo und Kaneda,
welche sich Nachts mit illegalen Motorrad-Rennen und harten Drogen
die Zeit vertreiben. Bei einem dieser Ausflüge in die s.g. „Alte
Stadt“, den Ruinen des Tokyos aus der Zeit vor dem Bombeneinschlag,
welches bis dahin unbesiedelte Sperrzone ist, verursacht Tetsuo einen
Unfall, weil ihm ein greiser Junge über den Weg läuft. Was danach
Passiert ist fast schon der Plott einer klassischen Mysterie-Serie,
weil sie mit einem Mal nicht nur diesem Jungen erneut begegnen,
sondern auch noch einer anscheinend geheimen Militär-Einheit, welche
die Existenz von Kindern mit ähnlichem Erscheinungsbild mit allen
Mitteln versucht geheim zu halten. Dabei ist in diesem Band mit
seinen 126 Seiten noch nicht klar, was eigentlich genau das Geheimnis
dieser greisen Kinder ist, die von sich selbst der Ansicht sind,
nicht in der Welt da draußen leben zu können und anscheinend unter
gräßlichen Drogen gefügig gehalten zu werden scheinen.
Viel mehr liegt der Fokus erst einmal
darauf, die Welt der Motorrad-Gang rund um die beiden bereits
erwähnten Hauptfiguren Kaneda und Tetsuo einzuführen und
aufzuzeigen, wie diese in einer Welt, die sie im Grunde bereits
abgeschrieben hat, versuchen zurecht zu kommen. Ständig auf der
Suche nach dem nächsten Kick. (Und mit einigen weiterführenden
Problemen wie vermeitlichen Teenager-Schwangerschaften bereits um die
Ecke kommend.)
Und in diese Ohnehin nicht
unkomplizierte Situation bricht als zusätzlicher Pfeiler mit der
Militäreinheit auch noch ein weiterer, überschwankender Punkt von
Gewallt weit jenseits der „normalen“ Bandenrivalität hier mit
ein. (Und dem unerklärlichen Element, dass der Junge mit der 26 auf
dem Handteller darstellt, weil man nur erahnen kann, dass er
vermutlich besondere Fähigkeiten besitzt.)
Der Manga liest sich sehr schnell
runter und enwickelt auf seinen Seiten, wie bereits dargestellt, eine
überaus interessante Welt, die kurz davor steht, entgültig in den
Abgrund hinabzusinken. Eigentlich sind es nur noch wenige Aspekte,
die die perfekte Katastrophe unumkehrbar zu machen scheinen.
(Zumindest lesen sich die Andeutungen so.) Vieles deutet auch darauf
hin, dass die Geschichte im weiteren Verlauf noch um einiges,
persönliches Drama erweitert wird. (Wie bereits gesagt: Keine der
hier vorgestellten Figuren kommt aus gesicherten Verhältnissen.)
Das Ganze macht diese Geschichte
spannend zu lesen. Allerdings muss man hier noch zwei Punkte
hinzufügen: Wir reden hier von den Anfängen der deutschen
Manga-Kultur. Der Begriff „Otaku“ dürfte noch Fragezeichen
aufgeworfen haben und die Lesegewohnheiten der gewöhnlichen
Comic-Kultur waren deutlich auf Farbe ausgerichtet. (Ganz davon zu
schweigen, dass in diesem Zeitabschnitt noch ganz traditionell von
links nach rechts gelesen wurde.) Die Folge all dieser zeitlich
bedingter Faktoren ist, dass die Reihe Akira in dieser Ausgabe farbig
ist und darüber hinaus gespiegelt wurde. (Sprich: Die Panels wurden
so umgedreht, dass anstelle der heutzutage üblichen
Maga-Leserichtung im Blätterverhalten von hinten nach vorne
tatsächlich alles aufs europäische Leseverhalten angepasst worden
ist.) Diese Vorgehensweise hat Anfang der 2000er noch führ
ziemlichen Aufruhr in der Retrospektive geführt und wird heutzutage
auf jeden Fall verächtlich schnaubend noch betrachtet. Stellt aber
letzten Endes die Grundlage dafür da, dass die Auswahl der
Comic-Kultur, so wie sie sich hierzulande Präsentiert, überhaupt
erst einmal Interessant gemacht wurde. Was man also mit diesem Band
in der Hand hält ist also nicht nur ein sehr wichtiger Kult-Manga
überhaupt, sondern auch in gewisser Weise ein Exemplar der zentralen
Weichensteller im Zeitgeschehen, was unsere Lesegewohnheiten an
Comics betrifft.
Fazit
Ein für das Cyberpunk-Genre nicht mehr
wegzudenkender Meilenstein der Comicgeschichte im typisch deutschen
Gewand. Die Story trieft vor verdrängter Hoffnungslosigkeit. Die
Bilder sind ungewohnt Bund und die Story macht erst einmal lust auf
mehr. Allerdings sieht man hier auch den Grund, warum die japanische
Comic-Kultur so stark mit Gewallt assoziiert wird. (Sex spielt
zumindest in diesem Band keine Rolle.) Sollte man die Chance haben an
Akira heranzukommen, sollte man tatsächlich diese Ausgabe der später
erschienen Omnibus-Ausgabe bevorzugen, weil hier einiges noch
Einsehbar ist, was in der späteren Überarbeitung herauseditiert
wurde, um dem gewandelten Markt-Geschmack eher zu gefallen. Das hier
ist in gewisser Weise der Comic in der Form, mit der die japanische
Comic-Kultur hierzulande Einzug gehalten hat. Und gerade das sollte
man Nachvollziehen, wenn man sich für diesen speziellen Stoff
begeistern kann. (Auch wenn die Chancen schwierig sind, an die Serie
überhaupt heranzukommen.)
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