Ich bin die letzten Tage mal wieder ein wenig ins Grübeln gekommen. Und zwa rhabe ich mich an eine UA-Runde zurückerinnert, bei der die Videokassette in die Hände meine Spieler geraten ist. Und ein gewisses Unverständnis herrschte, was den Generationen-Begriff dabei anbelangte. (Und warum ich eine DVD-Kopie nicht gelten lassen würde.) Dabei muss man aber insgesamt sagen: Eigentlich ist dieser spezielle Aspekt des Settings von Unknown Armies wunderbar in seiner Funktionsweise durchdacht gewesen. (Und funktionierte ausschließlich innerhalb des technischen Rahmens, der damals an Filmtragenden Medien existierte ausgesprochen gut, wenn auch ausschließlich.)
Also. Um das ganze verstädnlich zu machen, muss ich ein wenig zwischen verschiedenen Themen hin und her springen und dabei vermutlich auch noch die eine oder andere (vermutlich kritisch beäugte) These aufstellen, über die dann andere meinetwegen Diskutieren können. Dabei dreht sich sehr vieles gerade um die technischen Limitierungen, die damals vorhanden waren. Zum Beispiel ist die Frage sehr zentral, was es mit dem Generations-Begriff eigentlich auf sich hat. Fangen wir also bei den Videokassetten an sich erstmal selbst an.
Videokassetten waren ein verhältnismäßig kostengünstiges Medium: Die notwendigen Daten, welche für die Darstellung eines Bildes notwendig waren wurden auf einer magnetischen Trägerschicht abgespeichert, die mechanisch über einen Lesekopf gespult wurde, welcher die einzelnen magnetischen Impulse erkannte und als elektrische Impulse weiterleitete. Das Problem dabei war nur: Mit jedem abspielen eines Videos wurde diese Trägerschicht durch den Prozess des Auslesens auch mechanisch angegriffen und immer mehr poröser gemacht. Als Folge daraus konnte das Band selbst reißen, aber auch die magnetische Wirkung ging immer mehr verloren. Das heißt: Das Bild wurde zunehmend immer schlechter und irgendwann wars dann ganz aus.
Deswegen verwendete man, um eine Videokassette zu verfielfältigen ein „Generations-Verfahren“ an. Sprich: Nicht die „Original“-Kassette, auf der der ursprüngliche Film gespeichert wurde, war das eigentlich Leittragende Produkt bei der ganzen Geschichte: Technisch wurde diese Master-Kassette nur ein paar hundert Mal kopiert. Erst diese Tochter-Bänder der Master-Kassette, die s.g. „erste Generation“ an Videos, wurde für den eigentlichen Massenmarkt anschließend wirklich genutzt: Sprich von jeder einzelnen Kopie dieser Videos wurden hunderte Kopien angefertigt, von denen dann wiederum hunderte Kopien angefertigt wurde. Und so ging das dann fröhlich weiter runter die Produktionsgeschichte hinunter. (Das Schizophrene dabei war, dass das Filmmaterial einer Video-Kassette nur in einfacher Geschwindigkeit übertragen werden konnte. Eine Film von einer Stunde abspielzeit wurde also entsprechend in einer Stunde auf eine andere Kassette überspielt. Und leider zog sich das bereits angesprochene Problem der demagnetisierung von Kopien entsprechend auf die Bildqualität der entsprechend hochzahligen Generation-Videos aus. (Wer mehr über diese ganze Problematik sich erarbeiten will sollte einen Blick in das Buch „Film verstehen“ von James Monaco werfen, der eigentlich sehr gut die einzelnen technischen Errungenschaften der Filmindustrie und deren Macken beschreibt, während er eine Filmtheorie aufbaut.)
Das ist letzten Endes der Kniff, der das Video der apotheose der nackten Götting so spannend macht: Das Original lehrt ein Geheimnis, aber bereits aus der Kopie der ersten Generation kann man nur noch rückschlüsse ziehen, die einem das Verständnis erleichtern. Jedoch haben sich bereits verfälschende Fehler in diese Bildschrift hineingeschlichen. (Die Göttlichkeit der ursprünglichen Kassette ist halt eben nicht so wirklich greifbar.)
Und hier beginnt dann im Grunde ein sehr interessanter Fakt, der mit religiöser Praxis im Mittelalter eine Menge zu tun hat: Das Generations-Kopie-Verfahren von Videokassetten hat im übertragenem Sinne eine ganze Menge mit Handschriften gemein, die in entsprechenden Scriptorien des Mittelalters von frommen Mönchen erstellt wurden. (Und dabei dummerweise einen ganzen Haufen fehler produzieren konnten.) Der punkt bie der ganzen Sache ist: Dadurch das diese Handschriften aufgrund ihrer Herstellungsprozeduren sehr selten waren, wurden sie trotzdem jeweils auf eine besondere Weise geehrt und wertgeschätzt. Hier kommt dann ein weiterer Theoretiker ins Spiel, nämlich Walter Benjamin. Benjamin ging in seiner Schrift „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ davon aus, dass wir in unserer Wertschätzung von Gegenständen und Momenten einen gewissen Grad der Ferne brauchen. Je mehr Gegenstände dabei einem Phänomen des Massenmarktes unterliegen, desto banaler werden sie von uns Wahrgenommen. Der springende Punkt dabei ist: Benjamin verglich für diese Theorie sehr stark Objekte religiöser Verehrung mit den Momentaufnahmen, wie sie Fotografien darstellen. (Man könnte dies aber auch mit einer entsprechenden Theorie zur Massenproduktionskritik von Günther Anders vergleichen, die, wenn auch mit ein paar anderen Argumenten (und ohne das religiöse Moment), deskritiv in die gleiche Kerbe haut.) Der springende Punkt bei der ganzen Sache ist: Das Kreuz in der Kirche wird in der sakralen Verehrung (auch aufgrund seines besonderen Herstellungsprozesses von der Geschichte her) von den gläubigen eher mit der entsprechenden, psychischen Wertschätzung bedacht, als es ein Kreuzanhänger täte, der zu tausenden in einer Fabrik in China hergestellt worden ist und als Schmuckstück überall zu erwerben ist. (Ein noch besseres Beispiel wäre wohl die Monstranz, welche ja nur in der Kirche als solche Existiert und nur an besonderen kirchlichen Feiertagen hervorgholt wird, um sie bei einem entsprechendem Umzug durch die Gemeinde zu tragen und zu Präsentieren. Immerhin enthält dieser Gegenstand den Laib Christi während der Prozession.)
Der Punkt bei dieser Sache ist: Das Video der nackten Göttin ist eben genau dieser besondere Gegenstand in der Mastertape-Variante. Und alles was danach folgt ist deswegen noch mit entsprechend möglicher Energie in der ersten Generation aufgeladen, weil der Kopierprozess ein heiliger Akt war, um die Frohe Kunde der Apotheose der Göttin der Pornomanten zu verbreiten.
Die darauffolgenden Generationen an Videokassetten sind dann zwar immer aus dem heiligen Werk von frommen Menschen (ihr wisst, wie ich das Meine) entstanden, jedoch verliert sich die Wahrheit in den verzogenen Strichen und aus dem Kopf falsch heraus zitierten Eigenheiten, die gerade eine fehlende Seite betreffen. (Oder vergleichbares. Manche Scriptoren machen auch eigenwillige Enditierungen an Stellen, die ihrer Meinung nach unverständlich sein könnten.)
Und hier käme jetzt der digitalisierungsprozess ins Spiel: Das Bild an sich würde zwar übertragen. Jedoch enthält das Bild eines Videos mehr „Randinformationen“ als nur die Informationen, welche von einsen und nullen übertragen werden können. (Teilweise ist noch nicht mal die Darstellungstechnik im digitalen Sektor in der Lage, bestimmte Farben wiederzugeben. Ich glaube das s.g. Cadmium-Blau ist ein solches Beispiel, bei dem die digitalen Bildwiedergabe-Medien streiken.) Der Punkt ist also einfach nur die simple Frage: Lässt sich Göttlichkeit digitalisieren? Und die Antwort lautet hier zumindest ganz klar: Nein! (Und das ist im Grunde der clevere Aspekt, den Stolze und Tynes in die Pornomantie haben einfließen lassen. Dadurch das man den Generationsprozess der Video-vervielfältigung als fromme Aufgabe erfasst, wird die Welt der Pornomantie ein wenig begreifbarer in ihrer gesammten Art.)
Das Problem des digitalisierungsprozess ist nicht nur die Konvertierung von analogen Informationen auf einsen und nullen.Viel mehr wird auf diesem Weg jede digitale Kopie des Mastertapes der Nackten Götting in gewisser Weise selbst zum Mastertape, weil der Akt der Kopierbarkeit sich hierbei verändert: Eine Eins ist immer eine Eins. Eine Null ist immer eine Null. Und diese simple, digitale Übertragung sorgt dafür, dass jegliche vermeitliche Generation auch automatisch die Generation davor exakt nachbildet. Digitale Kopien sind (zumindest in der Theorie) immer identisch. Analoges Material wandelt sich im Laufe der Zeit automatisch. (Ein wenig.)
Sprich: Eine DVD, die eine Kopie einer DVD ist, welche direkt vom Mastertape aus überspielt wurde, ist nicht nur eine simple Kopie, sondern ein exakter Klon ihrer Vorgängerin. (Es gibt hier einfach keine Unterscheidung durch Fehler im Scriptorium.) Auf diese Weise verliert die „digitale“ „erste Generation“ jegliche Macht. (Und darum ist der Vorteil durch die Zeitersparnis, die die Pornomanten eventeull durch das Pressen von DVDs in einem entsprechenden Multi-DVD-Brenner hätten, der hunderte von Kopien in nur einer Nacht erstellen kann. (Wie ein professionelles Presswerk von der Geschwindkeit her ausfallen lassen würde will ich hier gar nicht entsprechend spekulieren.) Aber das ist letzten Endes das Problem mit dem derzeitigen Zeitgeist: Die Dinge, egal in welcher Form sind „immer“ überall abrufbar und lassen sich entsprechend in immer gleichbarer Qualität als Massenmarkts-Wahre abrufen. Wir sind im Grunde eine Gesellschaft aus geklonten Gegenständen geworden. (Und daran können auch entsprechende limitierungs-Ansätze bei manchen Collectors-Editionen nichts mehr ändern.) Die digitalisierte Welt ist in ihrem Kern unsäglich Aura-los und geradezu profan in ihrer Massenproduktion.
Und so sehr ich UA auch liebe und die Sekte der nackten Götting auch in ihrer ursprünglichen Form zu schätzen weiß: Ich bin der Ansicht das, sollte Stolze die dritte Edition von Unknown Armies wirklich auf der Gegenwart angepassen, die Sekte der nackten Göttin keinen Platz mehr in diesem UA haben wird. Einfach nicht mehr haben darf. (Denn gerade hier passt einfach das komplette Konzept einfach nicht mehr.) Wir werden sehen, was gemacht wird. (Ich konnte bisher keinen Blick in die Gamma-Regeln werfen.) Jedoch scwant mir in dem Bereich schlimmes.
Überaus interessanter Artikel!Danke
AntwortenLöschenDann sollte jedoch der Herr, einen Blick in das Gamma-Regelwerk werfen, welches seine (UA-)Welt erschüttern wird.
Die Evolution der Nackten Göttin findet sich in der 3ten Edtion gar schon selbst als EIGENER AVATAR!