„Wenn man aufsteht
heißt es Larp.“, ist ein vielgescholtener Ausspruch, der mir schon
einige Male in dieser oder anderer Formulierung im Netz begegenet
ist. Die Basis-Idee dahinter ist, dass es sich beim Rollenspiel in
seiner Pen&Paper-Umsetzung im Grunde um eine Brettspielvariante
handelt. Das heißt die entsprechende Runde sich um einen Tisch
versammelt hat und wie an Gewichten auf den Sitzflächen der
jeweiligen Stühle hängen bleibt. Das ist durchaus eine legitime
vorgehensweise, aber sie es gibt auch ein paar Argumente, die für
eine andere Vorgehensweise sprechen.
Die Basisüberlegung
ist eine Idee, die aus der frühen Schule der philosophischen
Antropologie stammt und sich in dieser Form bis in die heutige
Theorie der Performance-Kunst rübergerettet hat. (Man bemerkt also
mal wieder: Der Vorwurf, dass ich Kunst-Theorie in vielen Bereichen
auf unser Hobby übertrage ist absolut gerechtfertigt. ;) )
Aber ich schweife
ab. Der Punkt, um dem es mir hier geht, ist der, wie unsere
Wahrnehmung als Menschen letzten Endes funktioniert. Grundsätzlich
gilt für jeden Moment, den wir erleben, dass dieses Erlebnis nicht
nur einfach eine Wahrnehmung von Reizen der einzelnen Sinne ist,
sondern Zeitgleich eine reflektion unserer eigenen Körperlichkeit
innerhalb eines Raumes darstellt, den wir performativ erfahren. Der
Begriff des Raumes ist innerhalb dieser Sichtweise ein Ort, den wir
durch unsere körperliche Bewegung überhaupt erst erfahren. Im
normalen Alltag bedeutet das, dass wir uns zum Beispiel durch einen
langen Gang bewegen und in dem Augenblick, wo wir um eine Ecke biegen
zwar immer noch am selben Platz sind, an dem wir schon die ganze Zeit
unterwegs wahren, auf der phänomenologischen Ebene aber mit einem
mal ein gänzlich anderes Erlebnis erfahren. Insofern haben wir
dadurch, dass wir durch unseren Körper einen anderen Bezugspunkt
innerhalb des Raumes eingenommen haben, ein verändertes Erlebnis
geschaffen. Das wird für diesen Artikel insofern ziemlich zentral,
weil sich meine Überlegungen hierbei um ein paar Faktoren innerhalb
der regulären Gruppendynmik drehen, die mir über die letzten Jahre
immer wieder mal aufgefallen sind. Jetzt gebe ich offen zu, dass ich
eher eine introvertierte Persönlichkeit bin. Ich tendiere dazu, über
Dinge vielleicht einen kleinen Moment länger nachzudenken.
Allerdings geht es nicht nur mir so. Viele meiner Mitspieler haben
über die Jahre immer wieder ihre Worte sehr genau in gewissen Szenen
zurechtgelegt. Und gleichermaßen wird dann gelegentlich darüber OT
beratschlagt, was man in einer solchen Situation denn bitte erwidern
soll. Das solche Momente vollständiger Downtime nicht unbedingt
Immersionsfödernd sind, sollte offensichtlich sein. Und gerade weil
solche Faktoren gelegentlich ungeheuer nerfend sind, fangen manche
SLs an Methoden anzuwenden, um einen gewissen Druck zu erzeugen.
(Eines der bildhaftesten Beispiele von dem ich gelesen habe war, wie
ein SL OT eine Sanduhr auf dem Tisch aufstellte um damit den realen
Zeitramen zu symbolisieren, den die Charaktere hatten, um einen
wichtigen SLC davon zu überzeugen, ihnen nichts schlimmes anzutun.)
Diese Form von Druck kann ein brauchbarer Faktor sein, hilft aber
wenig dabei um wirkliche Dynamik in die Situation zu bringen, wie sie
bei dem von mir aufgezeigten Beispiel eher zu einem spontanen
Blackouts führen, in denen die Spieler überhaupt nicht mehr wissen,
was sie jetzt eigentlich tun sollen (oder würden).
Und das alles nur,
weil man in diesem Fall ein ungeschriebenes (geschweige denn jemals
ausgesprochenes) Gesetz einer „Komfort-Zone“ annimmt. Sprich: Wir
nehmen uns von Anfang an die Option einer wesentlich natürlicheren
Reaktion, weil wir davon ausgehen, dass sich irgendjemand zu wenig
verhätschelt fühlt, wenn man die Situation durch körperliche
Aktionen noch einmal greifbarer macht. Nur damit das klar ist: Mir
geht es nicht darum, dass ihr mit einem mal damit anfangt eure
Mitspieler wirklich physische Gewallt erfahren zu lassen. Viel eher
geht es darum, dass körperliche Nähe und verschiedene Gegenstände,
die in dem Raum zwischen zwei Körpern eingesetzt werden, eben dabei
helfen können, ein klareres Bild zu erzeugen, was der Charakter
gerade tatsächlich erlebt. (Und darauf dann aufbauend eine sehr
spontane Reaktion erfahren zu lassen.)
Nur um ein Beispiel
zu nennen: In meiner derzeit theoretisch noch existierenden „Werwolf:
The Apokalypse“-Runde (in der ein Mitglied meiner alten
Vampire-Live-Domäne die SL macht) hatte meine Ragabash Mik und eine
der SLC Selene, von der Bekannt ist, dass sie den Garou nur
Feindlichkeit gegenüber aufbringt eine etwas kritische Unterhaltung
gehabt. Bei diesem Gespräch hatte Selene einen bestimmten Wutfaktor
von Mik getriggert, die sich darauf in die Glabro-Form verwandelte
und auf den SLC bedrohlich zuging. Selene zückte darauf hin ein
Messer und hielt es Mik direkt an die Kehle. Der Punkt bei der Sache
war, dass ich in dem Augenblick, wo sich Mik verwandelte, aufstand
und auf unsere SL zuging, die mir daraufhin den Stil eines Löffels
tatsächlich an die Kehle hielt. Und dadurch haben wir das Gespräch
mit einer entsprechenden „Pattsituation“ zwischen den beiden
Charakteren gereizt zu Ende geführt. Jedoch war das Erlebnis für
alle beteiligten in dem Moment deutlich griffiger und vom Erlebnis
her intensiver. (Zugegeben: Durch den gemeinsamen
Vampire-Live-Hintergrund hatten sowohl SL als auch Ich ein gewisses
Zusammenspiel in dem Berich bereits entwickelt. Wir kennen uns
entsprechend gut und wissen auf wir uns halbwegs mit dem anderen
einzustellen haben. Nur hatte unsere SL von Anfang an diesen
wesentlich performatiferen Ansatz in dieser Runde eingeschlagen. Von
daher waren die beiden Anderen nicht überrascht, konnten aber
trotzdem sehr viel aus dieser speziellen Szene mitnehmen. Vor allen
Dingen weil in diesem speziellen Fall auch Zeitgleich eine besondere
Information über meinen Charakter Preis gegeben wurde, den ich bis
dahin unter Verschluss gehalten hatte. Außer unserer SL gegenüber
natürlich, die zu dem Zeitpunkt schon die eigentliche „Dramaepisode“
mit mir längst ausgespielt hatte.)
Zugegeben: Eine derartige Vorgehensweise funktioniert vermutlich
weniger Gut, wenn man … na, nennen wir es mal „Ergebnisorientiert“…
vom Spielstil her vorgeht und den Fokus weniger auf die Charaktere
gesetzt hat. (Also tatsächlich eher in die brettspielhafte Richtung
tendiert.) Jedoch harmonisiert es deutlich gut, wenn man eh eher
narativ oder, noch besser, Methodactorhaft unterwegs ist. Denn der
Punkt bei der Sache ist ohnehin immer das geliche Problem: Dadurch
das wir kein genau komponiertes Bild durch die Methode des
Sceneframings erzeugen können, sondern das Kopfkino bei jedem
Spieler anders abläuft, genauso wie jeder Spieler das innere Bild
eines Charakters aus anderen Versatzstücken, die er kennt,
zusammenbaut, ist es auch durch reines Beschreiben sehr schwierig zu
vermitteln, wie die Dynamik einer Szene letzten Endes abläuft. Indem
wir allerdings mit einem mal tatsächlich eine performative
Komponente ins Spiel mit einbringen wird das Kopfkino deutlich
gezielter in einen halbwegs einheitlichen Vorstellungsraum gebracht.
In der Vorstellung der einen Person hält gerade Meridia aus den
Highlands die Klinge an die Kehle von Angelina Jolie, in der des
anderen sind es Melissa McCarthy und
eine junge Sigourney
Weaver. Und bei dem anderen sieht der entsprechende Ort aus wie die
Krippe, die man seid Jahren unter den Weihnachtsbaum stellt, während
der andere einen Stall von dem Ponyhof assoziiert, an dem er als Kind
immer Urlaub gemacht hat. Nur: Die Konstellation in der Dynamik der
beiden Charaktere zueinander ist deutlich plastischer und
eindeutiger.
Und
das ist halt eben der entsprechende Vorteil bei der ganzen Sache: Wir
stehen in jeder Situation im Spiel immer in einer gewissen
Konstellation von Verhaltensregeln, die wir mal mehr und mal weniger
eindeutig verinnerlicht haben. Und die, dadurch das wir uns in einer
fiktiven Gesellschaft bewegen noch einmal anders ausgeartet werden
können. Sprich: Die Frage, wie man letzten Endes auf einen
bestimmten Zusammenhang reagiert, bleibt in jeder dieser Situationen
offen und muss jedesmal erneut für sich beantwortet werden.
Angesichts der künstlichen Situation innerhalb der Runde am
Spieltisch kann es dabei aber zu verzögerungen kommen, weil man
einfach innerhalb dieser ganzen Aktion blockiert.
Wir
sind aber Wesen, deren kompletter Erfahrungshorizont aus Bewegung
innerhalb eines Raumes entspringt. Und das bietet die Situation am
Spieltisch durchaus auch. Zwar in einem deutlich reduzierterem und
abstrakterem Raum, aber sie ist vorhanden. Und es ist (zumindest mir)
ziemlich unklar, warum man diese Möglichkeit nicht nutzen sollte.
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