Montag, 12. Februar 2018

Rezension: Chastity. Life/Death (written by Marc Andreyko)

Cover: Chastity vol. 01
Life/Death
Verlag: Chaos Dynamite/Dynamite Entertainment
Und hier hätten wir auch schon die zweite Origin-Story. Wie ich im Zusammenhang mit „Theatre of Pain“ schon erzählt hatte, sind Chaos Comics irgendwann Anfang der 2000er-Jahre plaeite gegangen, nachdem der Verlag in den 90ern einen Nerf getroffen hatte, der nur all zu sehr den damaligen Zeitgeist atmete, verfolgt von Weltuntergangsphantasie und anderen „Problemen“.
Danach war dann für eine ganze Weile lang erst einmal nichts mehr los mit großen Teilen der ganzen Figuren, die Brian Polido damals für den Verlag erschaffen hatte. (Abgesehen natürlich von Lady Death, die nach einem kurzen Debüt bei Cross Gen, die den Markennamen, nicht aber die Figur an sich, haben wollten und deswegen alles verunstalteten, bei Avatar Press landete.)

Chastity und die restlichen Chaos-Figuren machten stattdessen eine etwas weniger ereignisreiche Reise (bei der ich allerdings nicht so ganz durchblicke – wie ich es noch vor einigen Wochen meinte-, welcher Verlag jetzt wozu gehörte.) Fakt ist nur: Am Ende gab Dynamite Entertainment dem ganzen 2014 eine Chance und startet mehrere Figuren in kleinen Miniserien noch einmal neu, die jeweils 6 Hefte fürs erste umfassten. (Nur das seitdem nicht mehr so viel passiert ist.) 2015 kam dann der Sammelband mit seinen 160 Seiten raus, den wir hier jetzt vor uns liegen haben.

Diese Neuinterpreatation beginnt im Jahre 1985. Chastity ist ein junges Mädchen, dass sich bei einer Turnübung am Balken, welche als Qualifikation für die Olympischen Spiele dienen sollte, das Bein gebrochen hat und damit für ihre Familie – ganz besonders ihre Mutter – mit einem mal zum großen Fiasko wird. Um es mit den Worten des Comics auszudrücken: „At this Moment I knew my mom would‘ve send me to the glue factory, if she could have.“ (Die Analogie hierbei ist, dass Chastitys Familie so dargestellt wird, dass ihre Tochter nichts anderes wäre als ein Rennpferd, dass man möglichst schnell und noch irgendwie Gewinnbringend entsorgt, wenn es nicht mehr in der Lage ist, die geforderten Leistungen zu bringen.) Den einzigen Ausweg bei der ganzen Geschichte findet Chastity in Büchern, besonders die „Blood Rose“-Reihe der Autorin Alyce Stonecliff hat es ihr dabei angetan. Chastity wird zu einem Groupie und nutzt die Chance, das entsprechende Autorin in New York eine Signierstunde gibt aus, um die Schule zu schwänzen und sich ein Autorgramm abzuholen.
Wenn ich die Sache jetzt verkürzen will kann ich nur eines Sagen: Die Geschichte endet damit, dass Chastity in zwei Hälften zerrissen im Krankenhaus landet und darüber hinaus zur Vollwaisen gemacht wurde. Das allerdings sorgt dann anschließend für eine ganze Menge Wind in der übernatürlichen Community. Ganz besonders unterhalb der Vampire ist es unglaublich auffällige, dass eine gewisse Schriftstellerin mal wieder sämtliche Hemmungen verloren hat und sich jetzt bescheuert durch die Gegend meuchelt.

Was folgt sind ein Haufen Gore-Szenen, weitere Rückblenden und sowas wie ein Mentor-Moment, wo eine andere Erklärung für diese Inkarnation von Chastity gegeben wird und warum sie ihre Eigenschaften als für andere Vampire „unsichtbar“ sein auch hier wieder erhalten hat. In dieser Dynamite-Inkarnation ist sie nämlich (auch wenn sie in weiten Teilen ihren eigensinnigen Kleidungsstil beibehalten hat) ein Hybrid zwischen Mensch und Vampir. (Und braucht deswegen nicht Nachts rauszugehen um mal eben Dinge einzukaufen, oder Blut saufen, um überhaupt auf den Beinen zu stehen.) Man liest halt eben die Geschichte eines Vergewaltigungs-Opfers, das nur Knapp einem Mord entgangen ist und jetzt zurückschlägt. (Und stellenweise dabei immer wieder mal mit dem Umstand zu kämpfen hat, dass die Gesellschaft dem Opfer die Schuld gibt.)

Den Abschluss bildet dann noch eine Geschichte in der Gegenward, wo Chastity einen Haufen entführte Kinder von einem in der Kanalisation lebendem Santa Claus befreien muss. (Und wer hier an Clan Nosferatu denkt hat sicherlich nicht ganz daneben gelegen.)

Man bemerkt, dass diese Chastity (ohne Übersicht der wenigen anderen Bände aus den „Dynamite Chaos“-Serien) in einem anderen Zeitalter entstanten ist. (Es sind zwanzig Jahre vergangen, seitdem die Ursprüngliche Chastity Marks vor ihrem „abusive Father“ davongelaufen ist. Seitdem hat sich einiges am Blick auf das Genre, die Figur des Vampires und auch die Rolle der Frau in der Pop-Kultur getan und ist auf diesem Weg auch hier in die Geschichte eingeflossen.) Zwar ist immer noch diese Gefühlskälte des Elternhauses das tragende Element, das große Teile des Hintergrundes bestimmt, um zu verstehen, wieso Chastity eventuell so tickt, wie sie tickt, allerdings wird durch das, was man allgemein als „Ballet-Mutter“ bezeichnet, eine andere Form von Gefühlskälte charakterisiert. Und das daraus dann ausgerechnet eine Obsession für den Vampir-Roman in einer gewissen romantischen Betrachtung (wobei hier wohl eher eine Romanze unter Raubtieren das tragende Element ist und nicht – wie in letzter Zeit so gruselig plakativ gemacht – das Konzept von üfr) entspring, ist ein geradezu sarkastischer Kommentar, dass in den 2000ern mit Twilight – zumindest innerhalb der „Young Adult“-Literatur – mit einem mal der Vampir zum romantischen Symbol ewiger Liebe umfunktioniert wurde.
Klar: Die Vampire von Chastity sind weiterhin Raubtier ohne wirkliche Moral. Und das zentrale Element der verborgenen Gesellschaft mit übergeordneter Regierung ist auch geblieben. Nur verändert man schon allein dadurch das Thema der Vampir-Assasinin, indem man den Hauptcharakter nicht als Teil der entsprechenden Gesellschaft charakterisiert, sondern Chastity zur Ausgestoßenen macht, die Aufgrund ihrer Natur als „Fickunfall“ (das jetzt bitte sehr sarkstisch sehen, aber hier kommt ein wenig die Redewendung ins Spiel, dass ein Wort, dass in der einen Sprache Liebe heißt in der anderen Fressen bedeuten kann, zum tragen) eine gejagte Jägerin ist, die Vampire töten muss, um selbst überleben zu können. Das passt zwar auch noch, zeigt aber auch, dass Chastity in dieser Inkarnation nicht unbedingt einer ästethischen Gesamt-Vision entsprungen ist, wie sie Pulido mit seinen Charakteren in den 90ern noch hatte, sondern einfach nur noch als postmodernes Flickwerk sämtlicher aktuell vorherrschenden Trendsichtweisen über Vampire sich präsentiert.

Insofern muss man leider ein paar Augen auf der Fanboy-Skala zudrücken, was eine eventuelle Erwartungshaltung anbelangt. Allerdings kann die Story ansonsten durchaus überzeugen, solange man einfach nur wissen will, wie Dynamite ihre Serie von Chastity gestrickt hätte. (Sie hat ja auch noch mindestens einen weiteren Auftritt in einer anderen Erzählung, die anscheinend ein großes Aufeinandertreffen sämtlicher Neuinterpretationen der alten Chaos-Monster-Helden darzustellen scheint. Eventuell werde ich in diese Geschichten auch noch einen Blick werfen und kann dann mehr zu dem Thema sagen.)

Fazit


Chastity hat sich 20 Jahre nach „Theatre of Pain“ extrem verändert. Die Basis-Elemente einer Assanine, die nicht unbedingt Teil der Vampir-Gesellschaft ist, wohl aber irgendwie zur Subspezies dazugehört, sind weitestgehend geblieben, wenn auch unter anderen Voraussetzungen zusammengefasst und erzählt worden. Man hätte abwarten müssen, wie sich diese Geschichten weiterentwickelt hätten, wenn sie Erfolg gehabt hätten, aber anscheinend konnten diese Geschichten nicht genügend Leute überzeugen. Das ist zwar Schade, lässt sich aber so gesehen nicht weiter verwundern. Ich mag das Thema, weswegen ich auch hier weiterhin die gesamte Geschichte im Auge behalten werde, aber wie schon gesagt: Hier ist leider nichts mehr zu erwarten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen