Cover: Chastity vol. 01 Life/Death Verlag: Chaos Dynamite/Dynamite Entertainment |
Und hier hätten wir
auch schon die zweite Origin-Story. Wie ich im Zusammenhang mit
„Theatre of Pain“ schon erzählt hatte, sind Chaos Comics
irgendwann Anfang der 2000er-Jahre plaeite gegangen, nachdem der
Verlag in den 90ern einen Nerf getroffen hatte, der nur all zu sehr
den damaligen Zeitgeist atmete, verfolgt von Weltuntergangsphantasie
und anderen „Problemen“.
Danach war dann für
eine ganze Weile lang erst einmal nichts mehr los mit großen Teilen
der ganzen Figuren, die Brian Polido damals für den Verlag
erschaffen hatte. (Abgesehen natürlich von Lady Death, die nach
einem kurzen Debüt bei Cross Gen, die den Markennamen, nicht aber
die Figur an sich, haben wollten und deswegen alles verunstalteten,
bei Avatar Press landete.)
Chastity und die
restlichen Chaos-Figuren machten stattdessen eine etwas weniger
ereignisreiche Reise (bei der ich allerdings nicht so ganz
durchblicke – wie ich es noch vor einigen Wochen meinte-, welcher
Verlag jetzt wozu gehörte.) Fakt ist nur: Am Ende gab Dynamite
Entertainment dem ganzen 2014 eine Chance und startet mehrere Figuren
in kleinen Miniserien noch einmal neu, die jeweils 6 Hefte fürs
erste umfassten. (Nur das seitdem nicht mehr so viel passiert ist.)
2015 kam dann der Sammelband mit seinen 160 Seiten raus, den wir hier
jetzt vor uns liegen haben.
Diese
Neuinterpreatation beginnt im Jahre 1985. Chastity ist ein junges
Mädchen, dass sich bei einer Turnübung am Balken, welche als
Qualifikation für die Olympischen Spiele dienen sollte, das Bein
gebrochen hat und damit für ihre Familie – ganz besonders ihre
Mutter – mit einem mal zum großen Fiasko wird. Um es mit den
Worten des Comics auszudrücken: „At this Moment I knew my mom
would‘ve send me to the glue factory, if she could have.“ (Die
Analogie hierbei ist, dass Chastitys Familie so dargestellt wird,
dass ihre Tochter nichts anderes wäre als ein Rennpferd, dass man
möglichst schnell und noch irgendwie Gewinnbringend entsorgt, wenn
es nicht mehr in der Lage ist, die geforderten Leistungen zu
bringen.) Den einzigen Ausweg bei der ganzen Geschichte findet
Chastity in Büchern, besonders die „Blood Rose“-Reihe der
Autorin Alyce Stonecliff hat es ihr dabei angetan. Chastity wird zu
einem Groupie und nutzt die Chance, das entsprechende Autorin in New
York eine Signierstunde gibt aus, um die Schule zu schwänzen und
sich ein Autorgramm abzuholen.
Wenn ich die Sache
jetzt verkürzen will kann ich nur eines Sagen: Die Geschichte endet
damit, dass Chastity in zwei Hälften zerrissen im Krankenhaus landet
und darüber hinaus zur Vollwaisen gemacht wurde. Das allerdings
sorgt dann anschließend für eine ganze Menge Wind in der
übernatürlichen Community. Ganz besonders unterhalb der Vampire ist
es unglaublich auffällige, dass eine gewisse Schriftstellerin mal
wieder sämtliche Hemmungen verloren hat und sich jetzt bescheuert
durch die Gegend meuchelt.
Was folgt sind ein
Haufen Gore-Szenen, weitere Rückblenden und sowas wie ein
Mentor-Moment, wo eine andere Erklärung für diese Inkarnation von
Chastity gegeben wird und warum sie ihre Eigenschaften als für
andere Vampire „unsichtbar“ sein auch hier wieder erhalten hat.
In dieser Dynamite-Inkarnation ist sie nämlich (auch wenn sie in
weiten Teilen ihren eigensinnigen Kleidungsstil beibehalten hat) ein
Hybrid zwischen Mensch und Vampir. (Und braucht deswegen nicht Nachts
rauszugehen um mal eben Dinge einzukaufen, oder Blut saufen, um
überhaupt auf den Beinen zu stehen.) Man liest halt eben die
Geschichte eines Vergewaltigungs-Opfers, das nur Knapp einem Mord
entgangen ist und jetzt zurückschlägt. (Und stellenweise dabei
immer wieder mal mit dem Umstand zu kämpfen hat, dass die
Gesellschaft dem Opfer die Schuld gibt.)
Den Abschluss bildet
dann noch eine Geschichte in der Gegenward, wo Chastity einen Haufen
entführte Kinder von einem in der Kanalisation lebendem Santa Claus
befreien muss. (Und wer hier an Clan Nosferatu denkt hat sicherlich
nicht ganz daneben gelegen.)
Man bemerkt, dass
diese Chastity (ohne Übersicht der wenigen anderen Bände aus den
„Dynamite Chaos“-Serien) in einem anderen Zeitalter entstanten
ist. (Es sind zwanzig Jahre vergangen, seitdem die Ursprüngliche
Chastity Marks vor ihrem „abusive Father“ davongelaufen ist.
Seitdem hat sich einiges am Blick auf das Genre, die Figur des
Vampires und auch die Rolle der Frau in der Pop-Kultur getan und ist
auf diesem Weg auch hier in die Geschichte eingeflossen.) Zwar ist
immer noch diese Gefühlskälte des Elternhauses das tragende
Element, das große Teile des Hintergrundes bestimmt, um zu
verstehen, wieso Chastity eventuell so tickt, wie sie tickt,
allerdings wird durch das, was man allgemein als „Ballet-Mutter“
bezeichnet, eine andere Form von Gefühlskälte charakterisiert. Und
das daraus dann ausgerechnet eine Obsession für den Vampir-Roman in
einer gewissen romantischen Betrachtung (wobei hier wohl eher eine
Romanze unter Raubtieren das tragende Element ist und nicht – wie
in letzter Zeit so gruselig plakativ gemacht – das Konzept von üfr)
entspring, ist ein geradezu sarkastischer Kommentar, dass in den
2000ern mit Twilight – zumindest innerhalb der „Young
Adult“-Literatur – mit einem mal der Vampir zum romantischen
Symbol ewiger Liebe umfunktioniert wurde.
Klar: Die Vampire
von Chastity sind weiterhin Raubtier ohne wirkliche Moral. Und das
zentrale Element der verborgenen Gesellschaft mit übergeordneter
Regierung ist auch geblieben. Nur verändert man schon allein dadurch
das Thema der Vampir-Assasinin, indem man den Hauptcharakter nicht
als Teil der entsprechenden Gesellschaft charakterisiert, sondern
Chastity zur Ausgestoßenen macht, die Aufgrund ihrer Natur als
„Fickunfall“ (das jetzt bitte sehr sarkstisch sehen, aber hier
kommt ein wenig die Redewendung ins Spiel, dass ein Wort, dass in der
einen Sprache Liebe heißt in der anderen Fressen bedeuten kann, zum
tragen) eine gejagte Jägerin ist, die Vampire töten muss, um selbst
überleben zu können. Das passt zwar auch noch, zeigt aber auch,
dass Chastity in dieser Inkarnation nicht unbedingt einer
ästethischen Gesamt-Vision entsprungen ist, wie sie Pulido mit
seinen Charakteren in den 90ern noch hatte, sondern einfach nur noch
als postmodernes Flickwerk sämtlicher aktuell vorherrschenden
Trendsichtweisen über Vampire sich präsentiert.
Insofern muss man
leider ein paar Augen auf der Fanboy-Skala zudrücken, was eine
eventuelle Erwartungshaltung anbelangt. Allerdings kann die Story
ansonsten durchaus überzeugen, solange man einfach nur wissen will,
wie Dynamite ihre Serie von Chastity gestrickt hätte. (Sie hat ja
auch noch mindestens einen weiteren Auftritt in einer anderen
Erzählung, die anscheinend ein großes Aufeinandertreffen sämtlicher
Neuinterpretationen der alten Chaos-Monster-Helden darzustellen
scheint. Eventuell werde ich in diese Geschichten auch noch einen
Blick werfen und kann dann mehr zu dem Thema sagen.)
Fazit
Chastity hat sich 20
Jahre nach „Theatre of Pain“ extrem verändert. Die
Basis-Elemente einer Assanine, die nicht unbedingt Teil der
Vampir-Gesellschaft ist, wohl aber irgendwie zur Subspezies
dazugehört, sind weitestgehend geblieben, wenn auch unter anderen
Voraussetzungen zusammengefasst und erzählt worden. Man hätte
abwarten müssen, wie sich diese Geschichten weiterentwickelt hätten,
wenn sie Erfolg gehabt hätten, aber anscheinend konnten diese
Geschichten nicht genügend Leute überzeugen. Das ist zwar Schade,
lässt sich aber so gesehen nicht weiter verwundern. Ich mag das
Thema, weswegen ich auch hier weiterhin die gesamte Geschichte im
Auge behalten werde, aber wie schon gesagt: Hier ist leider nichts
mehr zu erwarten.
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