Montag, 25. September 2017

Von der Begehrlichkeit des schlechten Scherzes

Eigentlich wäre dieser Artikel vermutlich die unglaublich passenste Gelegenheit, um am ersten April mal etwas Sinnvolles zu schreiben. Währe da nicht vollgender Umstand: Am ersten April sind alle damit beschäftigt mit Äxten bewaffnet durch die Gegend zu laufen und ihren dümmeren Mitmenschen mit einem lauten, sarkastischem „April, April!“ den Schädel einzuschlagen. Weil man den ersten April leid ist.

Und dann gibt es den Umstand, dass es aktuell diesen Unglaublich aktuellen Grund gibt, warum ich diesen Artikel im Moment schreiben wollte. Die Tage kam bei mir ein kleines Paket an, dass das nicht ganz zutreffende Endergebnis eines beinahe über ein Jahrzehnt in mir heimlich vor sich hingrummelndes Verlangen nach dem entsprechendem Produkt befriedigt. Fangen wir also erst einmal mit einem Bild an, dass den entsprechenden derzeitige zustand erkennbar macht.
"My little Pony. Tails of Equestria" von 2017 meets
Kindheitserinnerungen auf VHS 

Links auf dem Foto sehen wir die aktuelle, deutsche Übersetzung des „My little Pony: Tails of Equestria“-Rollenspiels, das Ulisses Spiele in Zusammenarbeit mit dem englischen Spieleherrsteller „River Horse“ herausbringt. Das Objekt rechts daneben ist eine typische VHS-Hülle, wie sie bis in die späten 90er noch verwendung gefunden hatte, eher die DVD vollkommen den Markt durchdrungen hatte. (Jetzt fühle ich mich alt, weil ich erst vor kurzem das dritte Filmträger-Medium für den Heimkino-Bereich aufgegriffen habe.) Der punkt bei der Sache ist, dass meine Schwester und Ich, als wir noch klein waren diese Kassette (und zwei weitere, die ebenfalls Pony-Geschichten in Zeichentrickform zeigten) sehr oft rauf und runter gesehen haben. Das waren zwar nicht die einzigen Video-Kassetten in unserem Haushalt, die eigentlich irgendwo in den Bereich Mädchen-Spielzeug-Crosspromotion fielen und von mir geschätzt wurden, aber da der Auslöser für diesen Artikel eben my Little Pony war, kann ich jetzt darauf zurückgreifen. (In einem Paralel-Universum siniert eine andere Form von mir vermutlich gerade über Lady Lockenlicht, Regina Regenbogen oder die Glücksbärchis.) Wie ich mit sehr viel Mühe festgestellt habe muss es so um 2006 herum passiert sein, dass Wizards of the Coast unter dem Titel „Desighn & Development: Here come the Ponies“ einen – soweit wie ich mich erinnern kann – in Cooperation mit Hasbro erstellten Aprilscherz ins Internet setzten, der ein „My little Pony. Role Playing Game“ ankündigte. (Der ursprüngliche Artikel von WotC selbst existiert schon längst nicht mehr. Darum habe ich hier nur auf den Thread in den Blutschwertern verwiesen, in dem der entsprechende Schock von damals sich zum Ausdruck brachte… und meine erste sehr positive Reaktion auf diese Idee auch noch nachzulesen ist.) Immerhin dauerte es danach noch über ein Jahr, bis die Idee deutlich breiteren Anklang fand. (An dieser Stelle muss ich übrigens gerade breit grinsen, dass der zweite Thread zu dem Thema dann ausgerechnet von Infernal Teddy stammte. Anscheinend teilen wir beide schon deutlich länger gemeinsame Interessen, als uns selbst bewusst ist.) Jetzt kann man natürlich einwerfen, dass in der Zwischenzeit einige Fan-Adaptionen wie Unknown Ponies: Failure is Awesome RPG auf Grundlage von Unknown Armies oder auch Ponyfinder für Pathfinder erschienen sind. Aber wie bei allen Dingen im Leben: Gefühlt ist so eine Adaption mit abgefeilter Seriennummer nicht das Gleiche wie ein Produkt mit dem offiziellem Segen des Herstellers.
Und somit habe ich jetzt über zehn Jahre warten müssen, bis dieser April-Scherz endlich in die Tat umgesetzt worden ist! ZEHN VERDAMMTE, LANGE JAHRE!
Das Mockup-Bild des "My little Pony. Role Playing Game"

Jetzt möchte ich natürlich nicht behaupten, dass ausgerechnet der oben erwähnte April-Scherz der Auslöser für das heutige Buch ist, dass ich in Händen halten kann. Aber dieses Narativ ist halt eben der passende Auslöser für eine andere Beobachtung, die ich über die Jahre gemacht habe, und die mir in dieser Form erst im Hier und Heute der derzeitigen RPG-Industrie dann tatsächlich und wirklich existierend über gerade mal ein paar wenige Jahre aufgefallen ist: Wir befinden uns hier in Deutschland an einem Punkt, wo mit einem mal die für Aprilscherze aufgemachten Mock-Ups entweder in genau der entsprechenden Form, oder aber in einer (aus welchen Gründen auch immer) leicht abgewandelten Form erschienen sind. Und wenn ich mich jetzt zurücklehne und darüber nachdenke kommt mir halt die Frage: Woher kommt das jetzt genau? Ich meine: Irgendwann muss sich eine Änderung im Bewusstsein für diese Art von schlechten Witzen doch herauskristallisiert haben, dass der kreativen Leistung, die die Ankündigung eines fiktivem Produktes mit einem mal ein gewisser Kaufwillen entgegengebracht wird. (Und wenn ich ganz ehrlich bin: ich werde das Gefühl nicht los, dass DrivethruRPG.com eine ganze Menge damit zu tun haben könnte. Und White Wolf.) Um eines vorwegzunehmen: Ich kann keine wirklichen harte Fakten zu dem Thema heraufbeschwören. Von daher versuche ich hier nur spekulativ eine Erklärung herbeizuextrapolieren, die für mich zwar schlüssig ist, aber vermutlich durch ein paar andere Links nochmal anders dargestellt werden kann.

Bekannt ist, dass Drivethrurpg.com von wenigstens einem der Gründer von White Wolf mitbegründet worden ist. Und es ist fast schon auffällig, dass die Fusion von Drivethrurpg.com und rpgnow.com zu „Onebookshelf“ ausgerechnet im selben Jahr passiert, indem der Verlag White Wolf vom Computerspiele-Hersteller CCP aufgekauft wird. (Es gab also zumindest in der Anfangszeit zwischen diesen Beiden Firmen vermutlich noch persönliche Kontakte und damit verbunden auch Interessen, die über die professionelle Geschäftsbeziehung hinaus gingen.) Ich erwähne das jetzt nur, weil die ersten, praktischen Aprilscherze auf dieser Ebene tatsächlich einen White Wolf-Bezug im weitesten Sinne haben. Mir fielen Spontan nämlichen Scion: Extras - Supplemental (Yet Can Be Somewhat Useful On Occasion) Scions von 2013 und die Dudes of Legend von 2010 ein. (Zumindest sind das PDFs deren Existenz als April-Scherze ich in den entsprechenden Jahren aktiv mitbekommen habe.) Außerdem fiel mir auch noch ein, dass ich im Zusammenhang mit den Dudes in einem entsprechendem Forum noch den Nebensatz „traditionell aufwendig gestalteter April-Scherz von White Wolf“ mal gelesen habe… und stolperte daher bei weiterem Suchen über „Shadows of Iceland“ aus dem Jahre 2008. Der Punkt bei all diesen Sache ist der, dass hier zwar „nur“ Ausschnitte aus fiktiven Publikationen, die niemals so wirklich erscheinen würden, präsentiert werden, die gewählte Form der Präsentation, die White Wolf hier betrieben hat, aber dermaßen aufwendig ist, dass sie tatsächlich davon überzeugen kann, man hätte hier ein echtes Produkt vor sich. Allein die Existenz dieser PDFs setzt aber sehr viele Faktoren vorraus, wobei die basalsten natürlich auf den wirtschaftlichen Punkten stehen, die immer noch dazu führen, dass PDFs an sich kein Wert im eigentlichem Sinne beigemessen wird: Es ist im Verhältnis zur regulären Druckerfahne unglaublich viel einfacher, diese Dinger zu Layouten und über den elektronischen Vertriebsweg ist der Kostenfaktor, den die Bereitstellung einer Kopie des PDFs ausmacht, vermutlich vergleichsweise Gering. Unabhängig davon bedarf es allerdings noch all der anderen Faktoren, die da ebenfalls noch mit reinkommen: Jemanden, der bereit ist die Arbeitsstunden der Leute zu bezahlen, die Arbeit in die Erstellung dieser PDFs stecken, so diese nicht in selbstausbeuterischem Herzblut selber freiwillig Stunden darauf werfen. Das betrifft sowohl Layouter, als auch Redakteuere und Autoren und last, but not least, die Illustratoren. White Wolf bediehnte sich aus irgendeiner dieser möglichen Quellen und erschuf dadurch schräge Ideen, die vermutlich sogar in gewissem Grad am Spieltisch einsetzbar wären. (Manchmal stelle ich mir das wie bei dem Computerspieleentwickler Ubisoft vor, wo ausgebrannte Spieleentwickler, die Schreikrämpfe kriegen, sobald sie nur noch eine Code-Zeile Assasins-Creed sehen müssen, einfach ins „Erholungsteam“ gesteckt werden mit dem Auftrag etwas vollkommen anderes zu erstellen, was ihrer Seele gerade gut tut und dann solche Perlen wie Child of Light entstehen. Nur das hier halt ein April-Scherz am Ende stehen muss, der die Arbeit, die man ansonsten macht, nicht ganz so verbissen sieht.) Und auf diese Weise stellt man dann fest, dass urplötzlich ein hochwertiges Produkt entstehen kann, dass aber in einem eigentlich negativem Kontext besetzt ist. (Seien wir mal ehrlich: So wie die meisten von uns vermutlich mit „Aprilscherzen“ sozialisiert wurden ist es eher ein Wunder, dass „Aprilscherz“ von unserer Generation nicht Synonym zu „Arschloch“ benutzt wird.)

Und ab hier gerate ich so langsam aber sicher ins Schwimmen mit meinen Überlegungen: Die deutsche Szene ist ein wenig anders aufgestellt, als die Internationale, wage ich mal ganz wagemutig zu behaupten. Wir sind ungeheuer klein und es ist verhältnismäßig einfach die „obere Ebene“ eines Verlages kennen zu lernen. (Und wenn man manchen Ausführungen hier und da im Netz glauben schenkt ist es die Hürde um vom Fan zum Macher zu werden sogar relativ gering.)
Man muss ein bißchen Zeit investieren und bereit sein etwas Mobilität in die ganze Angelegenheit zu stecken. (Und auch wenn mir der Gedanke überhaupt nicht gefällt, dass ich einer der absurden Knotenpunkte in der Vernetzung der Szene sein könnte, muss ich Thomas Michalski in einem Punkt recht geben, den er bei einem Gespräch auf der letzten RPC zwischen uns beiden versucht hatte zu untermauern: Ich selbst kenne mittlerweile einige Leute… Himmel, ich weis bis heute nicht, wie die Freudschaftsanfrage von Markus Plötz auf Facebook zustande kam, die vor einiger Zeit bei mir aufgeplöppt ist.)
Innerhalb dieser doch noch verhältnismäßig familiären Atmosphäre ist es anscheinend bis zu einem gewissen Grad möglich einzuschätzen wann eine Reaktion ernst gemeint sein könnte und wann nicht. Und das verwandelt dann mit einem mal bestimmte Dinge in kalkulierbare Irritation. Ich erwähne das, weil um 2013/2014 herum mit einem mal eine seltsame, parallele Entwicklung zustande kam. Das erste ist das Abenteuer „Namenlose Nacht. Orgien in den Thermen“, welches aufgrund des mitschwingenden Themas eine Altersempfehlung ab 18 Jahren bekommen hatte. Das erwähne ich jetzt nicht, weil dieses Buch einem Aprlscherz entsprungen ist, sonder weil etwa um März 2014 herum Ulisses-Spiele eine Werbestrategie einschlug, die den Verdacht nahelegte, es hier mit einem Aprilscherz zu tun zu haben… zumindest soweit es die entsprechenden Veröffentlichungen auf Facebook betraf. (Mir ist heutzutage natürlich auch bewusst, dass die erste Ankündigung für den Band aus dem Dezember des vorangegangenen Jahres stammt.)
Wichtiger ist in dem Zusammenhang eher etwas anderes: Der Uhrwerk Verlag, seines Zeichens bekannt für das Baby-Blaue Splittermond kündigte mit einem mal eine Girly-Edition in Rosarot an. Und das weckte von der MockUp-Qualität her wohl tatsächlich zum ersten mal diese Begehrlichkeit des Besonderen. Denn man sah hier tatsächlich zum ersten mal eine „besondere“ Edition, die von dem was sie versprach, auf der optischen Ebene, tatsächlich das wechselte, was Splittermond zu solch einem fürchterlichem, klischeehaftem Jungsspiel machte. Und das war etwas, dass die Leute tatsächlich haben wollten: Diese für die vollkommende Selbstironie angefertigte Ausgabe, die alles Blau im Zierlayout entfernte. (Und deswegen fragte man anscheinend auch häufiger danach.) Was dann kam, war natürlich nicht ganz das, was man sich innerlich erhofft hatte, aber es war tatsächlich eine Wirklichkeit gewordene, pinke Edition.

Und seitdem sind einige andere Aprilscherze aus ähnlichem Kontext auch mit einem mal Wirklichkeit geworden. OrkenspalterTV (die ja in gewisser Weise eines der zwei Medien sind, die der Szene Gesichter gaben und dadurch zusammenwachsen ließen) wurden mit ihrem „Sexy Heinz Kalender“ in die Verlegenheit gebracht, diesen Tatsächlich in die Tat umzusetzen: Zwei Mal!
Und Ulisses ist mit DSA auch ziemlich Tatkräftig dabei, diesem neuen Trend in die Tat umzusetzen: Zum einen wäre da das Rahjasutra, welches mir als erstes über den Weg lief. Das Deluxe Heldendokument für Geweihte Zauberer ist erst von diesem Jahr und – oh Wunder – tatsächlich käuflich zu erwerben. Und der bislang noch größte Timegab sind die „Wege der Vereinigung“ von 2012. Anscheinend schreibt im Hintergrund tatsächlich jemand an dem Scheiß, wie man im Ulisses Spiele Videopodcast 42 von der diesjährigen RPC erfahren konnte.
Bis hierhin habe ich nur die ganze Zeit beispiele gesammelt, dass die Sachen tatsächlich in die Tat umgesetzt worden sind, die wirklich auf einem Aprilscherz entstanden sind. (Und auch wenn der Sexy Heinz Kalender am ende mehr Mhaire Stritter, als Heinz zeigte, in teilweise unglaublich guten Ergebnissen.) Und mein Erklärungsmuster dabei ist nicht unbedingt ein allzu gutes. Meiner Vermutung nach hat diese Welle an Begeisterung über April-Scherze eher etwas mit dem gefühlt durchschnittlichem Alter der Szene von Mitte Dreißig zu tun. Und der Tatsache, dass die Nerds doch irgendwie immer mal die Außenseiter waren. (Und das wir so langsam aber sicher den „traditionellen Scheiß“, den die April-Scherze nunmal sind, nicht mehr leiden können.) Die meisten von uns dürften mal mehr und mal weniger „Disposible Income“ zur verfügung haben. Und wie ich schon sagte: Die Mehrheit von uns steht dem April-Scherz in etwa so gegenüber, wie der entsprechende CEO von Globotech im Film Small Soldiers den Versprechen der Werbefilm-Industrie. Aus dieser Perspektive entspringt ein gewaltiger Zynismus, weil die Kreativ schaffende Minderheit von uns allen auf einmal gefühlt mehr Energie in Dinge steckt, die sie nicht verwirklichen Wollen und deren Basis-Idee dann deutlich besser Klingt, als alles, was sie „normalerweise“ Umsetzen. Also entscheidet der Geldbeutel in Kombination mit der Internetkommunikation über dem kleinen Dienstweg. Die Leute verlangen nach etwas, das eigentlich nur als Fiktion gedacht war. Und aus einem eventuellem Mockup wird Wirklichkeit. Eine immer besser aussehende Wirklichkeit. (Wir alle haben ja mittlerweile Mitbekommen, dass in der deutschen RPG-Szene Auflagen im dreistelligen Bereich eher Standard als Ausnahme sind, und Verkaufszahlen im niedrigen, vierstelligem Bereich sogar verdammt gut ausfallende Produkte darstellen.)

Und von daher bin ich jetzt bei meinen eigenen Überlegungen gerade in einer Zwickmühle, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, auf dem richtigen Weg zu sein: Wir befinden uns gerade in einer unglaublich spannenden Zeit, wo mit einem mal, auf eine ganze eigene Weise, mehr Diversität entsteht. Das Problem ist nur: Diese Diversität entspringt nicht der Begeisterung für etwas, sondern dem Frust an etwas. Wir suchen nach der Realisierung von Träumen und sind es leid, dass die besseren Träume bislang immer eben keine Substanz dahinter hatten. Und das hat sich dann so langsam über das letzte Jahrzehnt verändert, dass immer öfter anscheinend offen Ausgesprochen wurde, dass die entsprechende Idee lieber realisiert gesehen würde. Und dadurch springt dann die produktive Kraft der Wunschmaschine an, die jetzt zum ersten mal seid langem in der Szene dazu führt, dass die Träume über den schlechten Witz zu realisierten Begehrlichkeiten wurden.


Wie sieht es beim Rest der hier versammelten Meute im Internet aus? Habt ihr einen dieser Aprilscherze euch schon öfter mal gewünscht? Habt ihr einen davon im Nachhinein erworben? Oder habt ihr sogar zu der kritischen masse gehört, die den Wunsch ausgesprochen hatten, die Fiktion Realität werden sehen zu wollen?

1 Kommentar:

  1. An den tagen, an denen es mir wirklich nicht gut geht denke ich tatsächlich darüber nach aus unserem blog ein Katzenblog zu machen...

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