Montag, 23. Oktober 2017

Review: ES. Kapitel Eins

Wenn man mich fragt, welches Buch von Stephen King ich bislang am meisten bedauere, dann handelt wäre meine Antwort „Es“. Nicht weil das Buch schlecht ist, sondern weil ich bei bislang drei Anläufen es kein einziges Mal geschafft habe, diesen Backstein von einem Wälzer zu beenden. (Ich bin seid ein paar wenigen Wochen in einem vierten Anlauf, habe derzeit etwa 30% der ebook-Version geschafft und bin damit deutlich weiter, als es meine bisherigen Anläufe gebracht haben. Tja, es ist manchmal wirklich schweirig die ganze Zeit einen solchen Wälzer mit sich rumzuschleppen.) Dennoch hatte ich die erste Verfilmung, die irgendwann Anfang der 90er erschienen ist, sehr gemocht. (Auch wenn ich diese Verfilmung natürlich erst deutlich Später auf VHS-Kassette zum ersten mal zu gesicht bekommen habe.) Jetzt ist dieses Jahr, wo der Mann, der den Meisten von uns vermutlich so etwas wie eine Ahnung beigebracht hatte, was Angst ist – Stephen King – siebzig Jahre alt geworden ist, ein wenig stark geprägt mit King-Verfilmungen. Zum einen gab es bereits die Verfilmung des dunklen Turm-Zyklus, die wohl eher mäßig geworden sein soll, zum anderen aber kam überraschend ein Klipp in meine Filterbubble, der eine erneute Verfilmung des anderen Opus Magnum ankündigte: ES!

Und dann beginne jetzt Quasi die Probleme: Wie wir alle bereits bemerkt haben, sind die 80er zurückgekehrt. Mit „Stranger Things“ wurde eine Fernsehserie auf den Markt geworfen, die sich der Tropes und Ästhetik „meiner“ Kindheit bediehnte, dem ganzen ein Übernatürlich Thema überzog und die moderne Erzählweise heutiger Filme nutzte. ES baut auf diesem Ansatz auf.
Was der Film zeigt ist eine Hälfte der Geschichte rund um den „Club der Verlierer“ in Derry: Die Kindheit. (Deswegen heißt es im Abspann auch ES. Kapitel Eins.) Es beginnt 1987 und spielt dann weiter im Jahr 1988. Wir erleben den kompletten Anfang der Erzählung bis zum Tod von Georgie, der für „Stotter Bill“ ein dermaßen traumatisierendes Ereignis war, wie sie King in seiner urspünglichen Geschichte verfasst hatte. (Und zeitgleich fühlt man sich von der gesamten Optik her noch sehr stark an den Auftakt der ersten Verfilmung erinnert, wie sie Tim Currie damals so einprägsam gespielt hatte.) Und danach ist sehr vieles anders.

Zuerst einmal verschiebt sich der Fokus deutlich auf die Einführung der einzelnen Figuren. Wir sehen den letzten Schultag vor den Sommerferien 1988. Bill, Eddie und Richie sind bereits beste Freunde, die einfach nur darüber nachdenken, wie sie die Sommerferien verbringen wollen. Beverly Marsh wird auf einer Schultoilette von den Schulschönheiten mit Gülle bekippt (zumindest wäre es meine Vermutung, dass es das sein soll) und Ben wartet mit einem recht gut gelungenen Gebäude-Modell am Seiteneingang darauf, ob er sicher Henry Bowers ausweichen kann. (Ein Element, für das er sich bis zu einem gewissen Grad zu schämen scheint ist sein Fandom für die US-amerikanische Boygroup „New Kids on the Block“, welche er auf seinem Walkman hört.

Beverly Marsh hingegen kämpft mit einem ganz anderen Problem: Sie ist nicht nur einfach arm. (Was in der ursprünglichen Geschichte neben ihrem attraktivem Äußeren ihr zentrales Problem war.) Ihr wird nachgesagt, dass sie das „Stadtflittchen“ sei, auf dem jeder schon mal rumgerutscht sei. (Das stimmt zwar nicht, zeigt aber bereits, dass der Fokus und die Qualität des Bullyings, was an den Schulen betrieben wird, deutlich näher in die Gegenwart geholt wird.)

Und dann beginnt der Club der Verlierer immer weiter die übliche Geschichte miteinander zu erleben, wie man sie sich halbwegs vorstellen kann: Die Jungs lernen sich kennen und wachsen irgendwie zusammen. Anders als es noch im Roman der Fall war, kommt abe rnicht die Szene des Dammbaums mit hinein, sondern es gibt immer wieder einzelne, kleine Momente, wo die jeweiligen Figuren aufeinandertreffen, während sie auf der Flucht vor Henry Bowers sind. Insofern scheint eben nicht die Tatsache, dass die einzelnen Figuren an einem Projekt miteinander die eigenen Fähigkeiten aufbauen, sondern viel mehr das geteilte Leid unter Henry Bowers das Element zu sein, dass sie in erster Linie zusammenführt und anschließend gemeinsame Aktionen, die durch die Aktivitäten von Pennywise herbeigeführt werden,

Allgemein verändern sich darüber auch die jeweiligen höllenmomente der jeweiligen Figuren:
Bill wird von Georgies Tot heimgesucht und hat darüber eine Bessenheit entwickelt, mit der er versucht jeden nur erdenklichen Aspekt zu identifizieren, wie man seinen verschwunden Bruder wiederfinden könnte.
Beverlies Hölle auf Erden ist zwar auch hier der Vater, jedoch – wie es im Zusammenhang mit der üblen Nachrede passiert – ist ihr Vater eher ein angedeuteter Pädophiler, der seine Tochter eventuell Missbraucht. (Oder kurz davor steht, den finalen Übergriff zu begehen. So ganz klar kommt das bei dem Film nicht herüber.)

Wichtig ist hierbei allerdings der neue Fokus auf Henry Bowers, dem mit einem mal deutlich mehr Hintergrund zugesprochen wird. War Bowers in den Erzählungen bislang nur angedeuteter Weise ein Opfer seines Vaters gewesen, dass seinen Frust an schwächeren Auslies, erlebt man in diesem Film genau diesen Vater (und seine Erziehungsmethoden) deutlich besser. Alldings verändert sich hierbei die Täter-Opfer-Rolle auch nochmal dermaßen, dass klar wird, warum Bowers nur all zu leicht gewissen Einflüsterungen nachgibt.

Und dann wäre das am Ende Pennywise, der tanzende Clown. Das Monster Es, dass Derry alle siebenundzwanzig Jahre heimsucht. Abgesehen davon, dass dieser Film einen unglaublichen Aufwand betreibt, um mit CGI-Effekten das beklemmende Gefühl der Geschichte zu transportieren und den Zuschauern dieses gefühl von verlorensein durch Zahlreiche Angstmomente hervorzubringen, die zwar im Kern sicherlich nicht neu sind, aber unglaublich Überraschend eingesetzt werden, um den Zuschauern Angst einzujagen, wird in den eigentlichen Momenten, wo nur der Schauspieler zum Einsatz kommt ein Mann namens Bill Skarsgård eingesetzt, der wohl erst in den letzten paar Jahren dem durchschnittlichen Zuschauer aufgefallen sein dürfte. Und dieser Skarsgård verkörpert einen anderen Pennywise, als es Currie noch in den neunziger Jahren getan hat. Dieser Pennywise hat nichts mehr vom klassischen Bozo der Clown an sich, sondern ist vom ersten Moment an nichts anderes als ein bösartiges Monster im Clowskostüm, dass dem erwachsenen Zuschauer Angst einjagdt. Und das in jedem einzelnen Bild, in dem er Auftritt. Die Kameraführung, die komplette Bildgestaltung (und weiß der Geier, was da noch alles in der Postproduktion mit eingeflossen ist): Jedes einzelne dieser ganzen Details sorgt dafür, dass die einzelnen Auftritte von Pennywise so dermaßen beängstigend sind. (Wenn man dazu noch die seltsamen Fernsehshows mit einberechnet, die immer wieder im Hintergrund laufen und wohl das Kidnerprogramm sein sollen, hat man schließlich das Geüfhl, dass Pennywise nur der kleinere Avatar eines gewalltigen Bösen darstellt, welches die Stadt Derry an sich verkörpert.)

Man bemerkt wohl, dass ich von dem Film insgesamt in der Art, wie er gemacht wurde, unglaublich begeistert bin.

Allerdings: Es gibt leider einige Stellen, die wirken unglaublich konstruiert und gehetzt. Dadurch, dass hier sehr stark von der Vorlage abgewichen wurde, um Es als Film zu erzählen, veränderte man natürlich dadurch auch das ganze Konstrukt „Es“ zu einem gewaltigen Grad. Und daurch verändern sich auch bestimmte Vorbedingungen: Ich kann jetzt nur darüber spekulieren, dass die Zielgruppe der zynisch gewordenen Millenials nicht mehr undbedingt etwas mit einem Pennywise anfangen kann, der dadurch, dass er seine Macht über seine Opfer aus deren Vorstellung bezieht, auch durch die Vorstellungswelt dieser Opfer innerhalb der ersten Begegnung verwundbar gemacht wird. So ist hier nicht mehr die Sichtweise auf einen bestimmten Gegenstand eine mögliche Lösung, Es zu besiegen, sondern nur noch stumpfe Gewallt, aber trotzdem bleibt ein unglaublich Bildgewaltiger Film übrig, der in einer Zeit spielt, an die wir uns noch teilweise selbst sehr gut erinnern können.
Ich kann jetzt natürlich nur spekulieren, aber ich schätze mal, dass das Buch Es, als es damals erschienen ist, seine Zielgruppe bei den Lesern hatte, die ihre Kindheit tatsächlich zu den beschriebenen Zeitangaben erlebt hatten, die der ursprüngliche Club der Verlierer als Kindheit erfasste, stellt der Film jetzt uns als die entsprechenden Kameraden an die Seite der Hauptfiguren.

Fazit

Wenn ich eine Vermutung äußern soll: Ich glaube, dass man recht früh erkannt hatte, dass dieser Film nur funktionieren kann, wenn man die beiden Zeitebenen trennt. Wir alle haben den gewalltigen Wälzer vor Augen, den Es als Taschenbuch darstellt. Wir wissen, wie gehetzt letzten Endes die 90er Verfilmung war. Und selbst hier haben wir gesehen, wie unglaublich viel umgeschrieben und neu interpretiert werden musste, damit die Geschichte auf der großen Leinwand funktioniert. (Und dabei haben wir es hier sogar mit einem Streifen von Überlänge zu tun.)
Was am Ende übrig bleibt ist ein runder, in sich abgeschlossener, beängstigender Grusel-Schocker, der auf die gesammte Trickkiste zurückgreift. (Leider inklusive gewisser Jump-Scares, die in den letzten Jahren immer mehr überproportional eingesetzt worden sind, aber leider ist der subtile Horror über die Jahrzehnte Horror-Kino konsums immer schwieriger geworden einzufangen.) Folglicherweise bleibt eigentlich nur das Spiel mit der Erwartungshaltung, soweit man das Ganze dann nutzt. Und das hat der Film sehr gut dann getroffen. Die Darsteller sind hervorragend gewählt, das Kostümdesighn ist definitiv nicht das, was man normalerweise erwarten würde. Und über Skarsgård habe ich glaube ich schon genug geschwärmt. Es bleibt also abzuwarten, ob sich das erste Kapitel von Es genug an den Kino-Kassen rentiert, um überzeugen zu können, dass Kapitel zwei Produziert wird. (Und das sie dann mit ähnlich viel Liebe zum Detail diesen zweiten Teil produzieren werden.) Aber selbst wenn nicht: Dieser Film, erstes Kapitel hin oder her, ist überzeugend genug, um allein für sich stehen zu können.

Von daher bin ich in letzter Zeit selten dermaßen begeistert aus dem Kino herausgekommen, wie in diesem Fall.

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